Einer trage des anderen Schuld
nicht wirklich lange gekannt; nur von diesem einen Fall. Seitdem habe ich von anderen gehört, dass Monk etwas sprunghaft ist. Farnham, mein Vorgänger, war sich nicht sicher, was seine persönliche Integrität betrifft, falls es zu einer schwierigen Entscheidung käme und Monk persönlich von jemandes Schuld überzeugt wäre.«
»Dann ist es ja ganz gut, dass jetzt Sie das Kommando führen und nicht Farnham«, bemerkte Rathbone spitz, nur um das sofort zu bedauern. Erst spiegelte Birkenshaws Gesicht Überraschung wider und dann Verärgerung. Eindeutig hatte er nicht die gewünschte Antwort gehört.
»Ich glaube nicht, dass Sie die Schwere der Situation vollständig zu würdigen wissen, Sir Oliver«, sagte Birkenshaw ruhig. »Eine Klage auf Mord ist eine extrem gravierende Angelegenheit, und Monk hat sie gegen einen Mann in einer hohen Position und von makellosem Ruf vorgebracht …«
»Ich weiß. Er ist mein Schwiegervater.«
»Das tut mir leid. Natürlich. Es muss schrecklich für Sie sein und unsäglich für Ihre Frau. Umso dringender werden Sie sich davon überzeugen wollen, dass wir nicht überstürzt handeln. Falls Monk einen Fehler begangen hat, so lauter seine Absichten auch gewesen sein mögen, werden wir den Ruf eines unschuldigen Mannes beschädigt und seiner Familie ohne Not Schmerzen zugefügt haben.«
»Es ist freundlich von Ihnen, dass Sie sich so besorgt …«
»Verdammt noch mal, Mann!«, explodierte Birkenshaw. »Meine Sorge gilt der Ehre der Wasserpolizei und deren Fähigkeit, ihre Aufgabe zu verrichten! Wenn wir einen Mann von hohem Ansehen verfolgen und es sich herausstellt, dass die Anklage von Anfang an fehlerhaft war und noch dazu von einem Menschen betrieben wurde, der von Rachegefühlen zerfressen und überdies auf ein bestimmtes Verbrechen fixiert war, dann ist unser Ruf geschädigt, und wir sind als Gesetzeshüter gelähmt. Es liegt in meiner Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das nicht geschieht.«
Obwohl es Rathbone gegen den Strich ging, leuchtete ihm ein, dass Birkenshaw in diesem Punkt recht hatte. Sah er aber auch, dass Monk den Respekt und die Loyalität seiner Männer verlieren und zum Rücktritt gezwungen sein würde, wenn er dessen Entscheidung aufhob? Auch das war ungerecht, und an so etwas konnte sich Rathbone unmöglich beteiligen.
»Natürlich tragen Sie die Verantwortung dafür«, sagte er so gelassen er konnte. »Und wenn Sie Beweise haben, dass Monk aus persönlichen Motiven und ohne gerechtfertigten Grund handelte, dann müssen Sie ein Machtwort sprechen und die Klage mit einer Bitte um Entschuldigung zurückziehen. In diesem Fall bleibt Ihnen freilich nichts anderes übrig, als Monk aus dem Polizeidienst zu entlassen.«
»Ich …« Birkenshaw schüttelte den Kopf, als versuchte er, diese Vorstellung wie ein lästiges, vielleicht sogar gefährliches Insekt zu vertreiben. »Das ist viel zu … extrem.«
»Das ist es gewiss nicht«, widersprach Rathbone. »Sie werden dann Ihren Mangel an Vertrauen öffentlich gemacht haben, und daraufhin werden auch seine Männer an ihm zweifeln. Weiter ist es gut möglich, dass Ballinger Schadenersatz fordern wird. Dabei könnte ich ihn nicht vertreten, aber er hätte keine Schwierigkeiten, jemanden zu finden, der bereit wäre, insbesondere jemanden mit ehemaligen Mandanten, die in der Vergangenheit von Monk verfolgt wurden. Wenn Sie alle Möglichkeiten sorgfältig abwägen, Commander Birkenshaw, werden Sie feststellen, dass den größten Schaden die Wasserpolizei erleiden wird. Darum werden Sie es auf den Prozess ankommen lassen müssen. Arthur Ballinger wird dann entweder freigesprochen – oder gehängt.«
»Rathbone …«, begann Birkenshaw.
»Ich habe alles gesagt, was ich dazu sagen kann«, entgegnete Rathbone, drehte sich mit einem knappen Nicken um und entfernte sich schnell in Richtung High Street. Mit etwas Glück würde er dort einen Hansom finden, der ihn in seine Kanzlei im westlich gelegenen Lincoln’s Inn bringen würde.
Doch obwohl Rathbone außerordentliches Glück hatte und binnen fünf Minuten in eine Droschke steigen konnte, fühlte er sich hundeelend, während die Kutsche zügig auf die vertraute Gegend zuratterte. Er war Monk und auch seinem eigenen Gewissen treu geblieben, aber hatte er womöglich Margaret auf irgendeine Weise verraten? Er konnte ihr unmöglich von diesem Gespräch erzählen, auch wenn es keineswegs streng vertraulich war. Allein schon dieser Umstand war Antwort auf seine
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