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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Das musste er für sie tun. Dass das eine schwere Aufgabe war, tat nichts zur Sache.
    Am Morgen war der Gerichtssaal brechend voll. Draußen standen noch Schlangen von Menschen, alle verärgert, weil sie abgewiesen wurden. Als Rathbone sich erhob, um Monk ins Kreuzverhör zu nehmen, war die Spannung im Raum mit Händen zu greifen. Winchester war still. Auf den ersten Blick konnte man ihn für gelassen halten, doch die winzigen Kopfbewegungen, das unablässige Strecken und Biegen der Finger verrieten ihn.
    Jeder wartete. Alle Augen waren auf Rathbone gerichtet.
    Er trat in die Mitte der Fläche zwischen Richter und Zeugenstand und blickte nach oben zu Monk.
    »Mr Monk, lassen Sie uns über die sonderbare Mitteilung sprechen, die Mr Jones in seiner Tasche fand und Ihnen überließ. Wenn ich mich richtig erinnere, sagten Sie, sie sei ihm gegeben worden, damit er nicht vergaß, um welche Uhrzeit Mr Parfitt sich zu seiner Verabredung auf seinem Boot einfinden sollte.«
    »So hat Mr Jones es mir gesagt«, bestätigte Monk.
    »Und Sie haben den Zettel mit Hilfe Ihrer Frau bis zur Klinik in der Portpool Lane zurückverfolgt, wo sie arbeitet und kranken Frauen aus der Umgebung hilft?«
    »Ja.«
    »Haben Sie ihn denn noch weiter zurückverfolgt? Damit meine ich: Haben Sie Lady Rathbone gefragt, wo sie den Zettel liegen ließ, nachdem sie die Waren gekauft und Mrs Burroughs gebracht hatte?«
    »Sie gab die Liste nicht zurück«, erwiderte Monk. »Dazu bestand auch kein Anlass. Zu allen Artikeln gab es ja eine Quittung der Apotheke.«
    »Demnach hätte die Mitteilung überall landen können«, hielt ihm Rathbone entgegen. »In Mrs Burroughs Besitz, irgendwo auf einem Tisch, in einem Mülleimer, auf der Theke des Apothekers oder sogar in Mr Robinsons Besitz, dem Mann, der für Sie die Buchführung erledigt?«
    Plötzlich wurde Monk kreidebleich, und sein ganzer Körper versteifte sich. Als Rathbone ihm in die Augen blickte, erkannte er, dass Monk bereits wusste, was er als Nächstes fragen würde.
    Rathbone kräuselte die Lippen zu einem winzigen Lächeln. »Mr Monk, welchen Beruf übte Mr Robinson aus, bevor er die Finanzen der Klinik verwaltete?«
    Monks Miene verriet fast keine Regung. »Er führte das Anwesen als Bordell, wie Ihnen sehr wohl bekannt ist. Sie selbst waren es, der erkannte, welche Fähigkeiten er auf diesem Gebiet hat und wie nützlich er sein kann, wenn er bleibt.«
    »Allerdings«, gestand ihm Rathbone mit einem etwas breiteren Lächeln zu. »Er hatte viele Bekannte in dem Viertel und genoss den hervorragenden Ruf, ein Mann zu sein, der wusste, wo er zu einem guten Preis einkaufen kann. Und da die Patientinnen größtenteils Prostituierte sind, ist er sicher auch mit ihren Gefährten, ihrem Leben und ihren Gewohnheiten vertraut. Es dürfte schwierig sein, ihn zu täuschen. So betrüblich das auch wäre, aber ist es denkbar, dass Mr Robinson in seinen ursprünglichen Beruf zurückgekehrt ist und sich an dem Geschäft mit der Prostitution am Fluss beteiligt hat?«
    Monk zögerte. Rathbone hatte ihn gezielt an einer verwundbaren Stelle getroffen. Abzustreiten, dass es denkbar wäre, wäre lächerlich und hieße, Rathbone dazu einzuladen, ihn als weltfremd hinzustellen.
    »Natürlich ist das möglich«, knurrte Monk. »Denkbar ist, dass nahezu jeder in ein solches Gewerbe investieren könnte. Aufgrund seiner Natur wird es sorgfältig verborgen.«
    »Selbstverständlich«, bestätigte Rathbone. »Niemand wird so schnell etwas derart Widerwärtiges offen zugeben. Wäre es zutreffend, wenn man feststellte, dass Sie schon des Längeren mit einiger Sorgfalt nach dieser einen Person fahnden?«
    »Ja.«
    »Wäre es möglich, dass es Ihnen deshalb nicht gelungen ist, sie zu finden, weil Sie sie die ganze Zeit direkt vor der Nase hatten?«
    Im Saal brach gedämpftes Gelächter aus, das vielleicht eine Spur zu hoch war, denn bei vielen lagen vor Entsetzen und auch Erregung die Nerven bloß. Rathbones Schlag hatte sich anders ausgewirkt als beabsichtigt. Ein schlimmer emotionaler Schmerz war überall im Saal zu erahnen.
    Um Monks Mundwinkel spielte ein wölfisches Lächeln, das keinerlei Freude verriet. »Allzu oft wird die schwärzeste Sünde unter der Nase der guten Menschen begangen. Sie bleibt genau deshalb im Verborgenen, weil gute Menschen sich nicht vorstellen können, dass diejenigen, denen sie vertrauen, zu so etwas in der Lage wären. Vielleicht bin ich wirklich so verblendet. Andererseits könnte das ebenso gut

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