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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das Knotenknüpfen erfordert Zeit.«
    »Nicht, wenn man es schon vorher erledigt hat.«
    »Selbstverständlich. Demnach kann man wohl kaum von einer im Affekt begangenen Tat sprechen, oder?«
    »Unmöglich. Einem so kostbaren Stück Seide etwas Derartiges anzutun ist reiner Vandalismus.«
    Winchester nickte. »Ein mit Vorsatz begangenes Verbrechen. Danke, Sir.«
    Rathbone konnte nichts tun, außer zu vermeiden, dass durch Nachfragen noch mehr Augenmerk auf die Aussage des Zeugen gelenkt wurde. Er verzichtete auf ein Kreuzverhör.
    Nach dem Mittagessen rief Winchester Stanley Willington auf, den Fährmann, der Ballinger von Chiswick zur Lossdale Road am Südufer übergesetzt und ihn dann kurz vor ein Uhr nachts zurückgebracht hatte. Sämtliche Uhrzeiten entsprachen haargenau den Angaben, die Ballinger Rathbone gegenüber gemacht hatte, sodass es nichts hinzuzufügen gab und kein Raum für Zweifel blieb.
    Nach ihm berief Winchester Bertram Harkness, der sich völlig gegensätzlich verhielt. Er war auffällig nervös und aggressiv. Ihm ging es eindeutig darum, Ballingers Zeitangaben auf eine Weise zu bestätigen, die jede Möglichkeit, dass er Parfitt hätte umbringen können, von vornherein ausschloss. Andererseits wusste er nicht, was der Fährmann vor ihm gesagt hatte, da er als Zeuge während dessen Vernehmung draußen hatte warten müssen.
    Er tobte regelrecht und machte keinen Hehl daraus, dass er Winchester nicht mochte. Der Anwalt war klug genug, um das für seine Zwecke auszunutzen. Er zeigte sich charmant und auf eine milde Weise sogar witzig, als wollte er den Zuhörern nach den ernsten Auslassungen zu dem schweren Verbrechen eine Atempause gönnen. Einige lachten lauthals, was allerdings vielleicht der Erleichterung darüber zu verdanken war, ihre Nervosität abreagieren zu können.
    Harkness ließ sich davon keineswegs besänftigen. »Halten Sie das etwa für lustig, Sir?«, brauste er auf, das Gesicht dunkelrot angelaufen. »Sie zerren einen unbescholtenen Mann hierher, ziehen seinen Namen vor Gott und der Welt in den Schmutz, beschuldigen ihn des Mordes und weiß Gott noch was, und dann bauen Sie sich in Ihrem eleganten Anzug auf und reißen Witze …! Sie sind ein Hampelmann, Sir! Ein verantwortungsloser Hampelmann!«
    Winchester zeigte sich verwirrt und dann peinlich berührt.
    Rathbone schluckte einen Fluch hinunter. Nicht Winchester gab hier eine lächerliche Gestalt ab, sondern Harkness. Das Publikum hatte sich schon vorher auf Winchesters Seite geschlagen, und jetzt fehlte nicht viel, dass sie aufstanden, um ihn zu verteidigen.
    »Ich bitte um Verzeihung, falls ich Ihre Gefühle verletzt habe, Mr Harkness«, sagte Winchester freundlich. »Aber könnten Sie vielleicht noch einmal genau schildern, was an diesem Abend geschehen ist und wie man sich die Umgebung, in der Sie leben, vorstellen muss? Die Geschworenen sollen sich doch daran erinnern und nicht an irgendwelche leichtfertigen Bemerkungen von mir.«
    Freilich hatte Harkness jetzt den roten Faden seiner Geschichte verloren, die irgendwo zwischen der Wahrheit, wie er sie vermutete, und einer späteren längeren Version lag, die dem Schutz Ballingers dienen sollte.
    »Ich verstehe Ihr Dilemma«, half ihm Winchester sanft. »Sie konnten schließlich nicht wissen, dass Sie einmal dazu aufgefordert werden könnten, über jede Minute Ihrer freien Zeit bis ins Detail Rechenschaft abzulegen. Einigen wir uns darauf, dass Ihre Bewertungen ungefähre Schätzungen sind.«
    »Ballinger hat diese elende Kreatur nicht umgebracht!«, blaffte Harkness. »Wenn Sie ihn so gut kennen würden wie ich, wären Sie gar nicht erst auf eine solche Vorstellung verfallen. Schauen Sie sich doch unter Parfitts abscheulichen Spießgesellen um oder den jämmerlichen Opfern seiner widerwärtigen Machenschaften.«
    »Ihre Loyalität ehrt Sie, Sir«, sagte Winchester.
    »Das hat doch nichts mit Loyalität zu tun, Sie Trottel!«, schrie Harkness ihn an. »Es ist schlicht und ergreifend die Wahrheit, Mann! Wenn Sie das nicht kapieren, sollten Sie sich einen anderen Beruf suchen, in dem Sie keinen Schaden anrichten können.«
    Winchester schenkte ihm ein geduldiges Lächeln, dann wandte er sich zu Rathbone um. »Ihr Zeuge, Sir Oliver.«
    Rathbone überlegte nur einen Moment lang, dann hatte er seine Entscheidung getroffen. »Danke, Mr Winchester, aber ich glaube, Mr Harkness hat uns bereits genau geschildert, was am bewussten Abend geschehen ist.« Er holte Luft, dann setzte er

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