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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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dass sie mich für schuldig halten und es nur nicht beweisen können. Ich brauche ein ›nicht schuldig‹, Oliver, und zwar ohne Wenn und Aber!« Er holte tief Luft. »Sie müssen glauben, dass ein anderer diese erbärmliche Kreatur umgebracht hat.«
    »Sie werden auf ›nicht schuldig‹ befinden«, versicherte Rathbone ihm. »Und du kannst nicht noch einmal angeklagt werden. Der Fall ist erledigt.«
    »Vor Gericht vielleicht, aber nicht vor der Öffentlichkeit. Dort bin ich auch weiterhin ruiniert. Um Himmels willen, Mann, begreifst du das nicht?« Ballinger fiel es merklich schwer, seine Panik zu beherrschen. »Zu sagen, dass die Beweislage zu dünn war, genügt nicht.« Er fixierte Rathbone mit einem durchdringenden Blick. »Sie müssen erkennen , dass sie den Falschen vor Gericht gestellt haben, Oliver. Das brauche ich schwarz auf weiß! Dort draußen läuft ein anderer frei herum. Ihn sollte die Polizei verfolgen! Ich könnte mir vorstellen, dass das Rupert Cardew ist. Ihn müssen sie mit der gleichen Sorgfalt angreifen, wie sie es mit mir getan haben! Mir ist es verdammt egal, ob sein Vater ein ehrbarer Mann ist, den alle bewundern, oder wie tief das Mitleid mit ihm sein mag. Meine Familie ist auch ehrbar!«
    Ballinger zögerte, und Rathbone wollte schon zu einer Erwiderung ansetzen, als der alte Mann sich zu einer Entscheidung durchrang und fortfuhr: »Du hast keinen Begriff davon, wie viel Gutes ich bewirkt habe, ohne mich dessen zu rühmen oder dafür öffentliche Anerkennung anzustreben. Aber das wird niemandes Hand – oder Zunge – Einhalt gebieten.«
    Rathbone blickte ihm in die Augen, und in diesem Moment wurde er von tiefem Mitgefühl ergriffen. Ballinger hatte recht: Das Gerede würde nicht aufhören; der Verdacht würde an ihm hängen bleiben; der Glaube, dass er die Justiz irgendwie überlistet hatte, würde sich hartnäckig halten. Vor der Strafe des Gesetzes würde er bewahrt werden, nicht aber vor derjenigen der Gesellschaft.
    »Bist du sicher, dass du das willst, Arthur?«, fragte Rathbone sanft. »Dieser Prozess ist immer noch bedenklich in der Schwebe. Die Emotionen kochen hoch. Du darfst Winchester auf keinen Fall für einen Narren halten, bloß weil er die Leute gelegentlich zum Lachen bringt. Er wird dir sofort an die Kehle gehen, sobald du ihm eine Blöße bietest.«
    »Dann biete ich ihm eben keine Blöße«, entgegnete Ballinger bitter. »Rupert Cardew ist ein zügelloser und gewalttätiger junger Mann und sollte sich wie jeder andere vor dem Gesetz verantworten. Parfitt war eine Kanaille, ein Auswurf der Gesellschaft, aber Hattie Benson war nur eine unwissende junge Frau, die ihr Dasein auf die einzige Weise fristete, die sie sich vorstellen konnte. Sie hatte ja kaum andere Verdienstmöglichkeiten als die Streichholzfabrik oder Heimarbeit zu entwürdigenden Bedingungen. Wer immer sie umgebracht hat, sollte dafür hängen, und diesen Wunsch sehe ich auch in den Gesichtern der Geschworenen, selbst wenn du nichts davon bemerkst.«
    Rathbone war klar, dass Ballinger recht hatte, doch er fürchtete weiterhin das Risiko. Ihn zu warnen erschien ihm brutal, aber zu schweigen, das wäre in seinen Auge Verrat an seiner Pflicht als Anwalt gewesen. »Es wäre sicherer für dich, die Sache auf sich beruhen zu lassen, so wie sie ist«, sagte er behutsam. »Darauf muss ich dich aufmerksam machen. Das Risiko ist beträchtlich.«
    »Was genau bedeutet ›beträchtlich‹«, fragte Ballinger in scharfem Ton.
    »Im Moment neigt sich die Waagschale der Justitia zu unseren Gunsten, aber nur zögerlich. Die Stimmung kann schnell umschlagen. Da genügt eine falsche Haltung, eine unverständliche Antwort, ein Zeuge, der etwas …«
    »Dieses Risiko gehe ich ein. Das Gericht und die Welt dürfen nicht glauben, ich sei schuldig und wäre nur davongekommen, weil ich einen guten Anwalt hatte.«
    »Dann besteht die Möglichkeit, dass man dich für schuldig befindet.« Jetzt hatte Rathbone es ausgesprochen, obwohl ihm die Worte fast in der Kehle stecken blieben. »Manchmal hängt ein Urteil von so etwas Banalem wie Sympathie oder Antipathie ab. Geschick und Zufall liegen nahe beieinander. Um Himmels willen, Arthur, das weißt du doch!«
    »Rätst du mir von dem Versuch ab, meinen guten Ruf wiederherzustellen?«
    Rathbone zögerte. Er war unschlüssig. Ginge es um ihn selbst und wüsste er sich unschuldig, würde es ihm wahrscheinlich nicht genügen, nur der Schlinge zu entkommen. Auf einer tieferen als der

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