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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Baumwolle in die Nase. »Ist etwas passiert, Oliver?« Sie blickte ihn unverwandt an. »Was ist?«
    Bei ihr hatte es keinen Zweck, um den heißen Brei herumzureden. »Ich muss mehr über die Umstände wissen, unter denen Hattie Benson dieses Haus verlassen hat, und brauche jede Information, die Sie mir über sie geben können.«
    Sie studierte sein Gesicht. »Warum?«
    Das war die einzige Reaktion, die er nicht einkalkuliert hatte. »Was meinen Sie damit – ›warum‹? Sie wollte aussagen, dann ging sie von hier weg, und am Tag darauf trieb ihre Leiche im Fluss. Keine Frage, sie ist ermordet worden, und zwar mit fast ebenso großer Sicherheit von demjenigen, der Parfitt erdrosselt hat. Das alles wissen Sie doch.«
    »Wenn ich wüsste, wer sie umgebracht hat, würde ich es Ihnen sagen, Oliver, wer immer es auch war«, entgegnete Hester. »Ich teile mit niemandem irgendwelche Geheimnisse und bin nichts und niemandem zu bedingungsloser Treue verpflichtet, außer der Wahrheit. Ich hatte die Verpflichtung, Hattie zu schützen, und habe versagt. Ich habe keinerlei Vepflichtung, denjenigen zu schützen, der sie ermordet hat. Bei Ihnen könnte das anders sein.« Sie äußerte sich nicht noch konkreter, aber das war auch nicht nötig.
    Ihre Worte brachten ihn einen Moment lang ins Stocken. »Ich … ich glaube, es gibt nur einen Weg, die besten Interessen meines Mandanten zu vertreten, und der besteht darin, die Wahrheit so umfassend wie nur möglich zu erfahren«, sagte Rathbone langsam. »Es wird Ihnen vielleicht schwerfallen zu glauben, dass Rupert Cardew der Täter war, aber wenn er es war und es möglich ist, das nachzuweisen, würde das für Arthur Ballinger nicht nur den Freispruch bedeuten, sondern auch die vollständige Wiederherstellung seines guten Rufes, ohne die er ruiniert wäre.« Er zögerte erneut und suchte nach einer Formulierung, die sein Ansinnen weniger hart erscheinen ließ. Es gab keine. »Ich bin mir dessen bewusst, dass ein Freispruch für Ballinger bedeutet, dass Monk sich geirrt hat und Sie Ihre Gefühle nicht davon trennen können. Darum würde ich Sie auch nicht bitten.«
    »Es geht also wieder um Loyalitäten.« Sie seufzte, ironisch lächelnd. »Ihre gilt Ballinger, weil er Margarets Vater ist. Meine ist gegen ihn gerichtet, weil William sonst im Unrecht wäre. Aber beide Standpunkte sind doch wohl nicht von derselben Tiefe, nicht wahr.« Das war nicht so sehr eine Frage, sondern vielmehr eine Zurechtweisung. »Glauben Sie wirklich, ich würde lieber einen Unschuldigen hängen sehen, als meinen Mann eines Fehlers zu überführen? Wozu würde das mich machen? Oder ihn?«
    »Ebenso wenig würde ich einen Schuldigen auf freiem Fuß sehen wollen, nur weil er mein Schwiegervater ist«, konterte Rathbone.
    »Er ist Ihr Mandant«, korrigierte Hester ihn. »Das verpflichtet Sie, ihn nach bestem Wissen und Gewissen zu verteidigen, es sei denn, Sie wissen tatsächlich um seine Schuld. Dann hätten Sie ein Problem, bei dem ich Ihnen nicht helfen könnte. Aber das wissen Sie offenbar nicht, denn sonst würden Sie sich jetzt nicht bei mir nach Hattie erkundigen.«
    »Keine Haarspaltereien, Hester«, bat Rathbone. »Sie wissen ja auch nicht, wer der Täter ist. Sonst hätten Sie es Monk gesagt, und die Angelegenheit wäre jetzt erledigt, bis auf die Todesstrafe.«
    Plötzlich zeigte ihr Gesicht einen Ausdruck tiefer Anteilnahme. Rathbone verstand das nicht sogleich. Doch dann begriff er die Bedeutung seiner eigenen Worte. Er hatte gesagt: »Die Angelegenheit wäre erledigt, bis auf die Todesstrafe« – nicht: »bis auf den Prozess«. Ein Teil seiner selbst fürchtete also sehr wohl, dass Ballinger der Schuldige war, und Hester hatte das durchschaut.
    »Ich muss es wissen, Hester.« Rathbones Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. »Er will aussagen. Da muss ich wissen, worauf ich mich vorzubereiten habe. Können Sie das nicht verstehen?«
    »Oh!« Ihr Ton hatte etwas Endgültiges, eine Intensität, die ihm Angst einflößte.
    »Was ist es?«, bat er. »Sie wissen, wie sie gestorben ist. Wie ich Sie kenne, haben Sie garantiert darauf bestanden, es zu erfahren. Sagen Sie’s mir.«
    Ihr Gesicht war bleich, ihre Augen waren von einer furchterregenden, lodernden Offenheit. Was immer die Wahrheit war, Rathbone wusste schon jetzt, dass sie einem von ihnen beiden wehtun würde. Die Frage war nur, wem und wie sehr.
    »Margaret hat sie bis vor den Ausgang gebracht«, sagte Hester leise. »Dort wurde sie von

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