Einer trage des anderen Schuld
wurden.
»Sagte, er hieße Cardew. Sein Gesicht hab ich nich’ gesehen, aber so, wie er sprach, war er wirklich vornehm.«
Hester dankte ihr und schickte sich an zu gehen, geriet dann aber ins Stolpern und stieß gegen den Türpfosten. Dass sie sich dabei die Hand prellte, nahm sie kaum wahr.
»Das ergibt einfach keinen Sinn«, sagte Monk geduldig, als sie spät am Abend vor dem Kaminfeuer saßen und die Uhrzeiger sich Mitternacht näherten. Hester war erschöpft und fröstelte immer noch, obwohl es im Zimmer wohlig warm war. »Aus welchem Grund sollte Margaret Rupert helfen, wobei auch immer?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Hester kleinlaut. »Vielleicht hat er ihr etwas vorgelogen.« Schon während sie das sagte, war ihr klar, dass auch das keinen Sinn ergab. Sie blickte auf und las an Monks Augen ab, was er dachte. »Hat Hattie am Ende gelogen und das Halstuch gar nicht gestohlen? Vielleicht hat Rupert ihr ja Geld gegeben, damit sie das behauptet. Und dann hat sie die Nerven verloren und ist weggelaufen, weil sie nicht mehr mitmachen wollte.«
Monk nickte. »Damit wäre erklärt, warum er sie umgebracht hat, sofern er tatsächlich der Mörder ist. Aber aus welchem Grund hat dann Margaret sie zum Ausgang geführt? Wäre es nicht vielmehr in ihrem Interesse gewesen, Hattie im Haus zu behalten und auf sie einzuwirken, ihre Geschichte zurückzuziehen?«
»Hatte Hattie vielleicht Angst davor? Wollte sie einfach nur abhauen und überhaupt nichts sagen?«
Monk nickte bedächtig. »Das ist denkbar. Sie konnte dir – oder mir – nicht mehr in die Augen sehen und rannte weg. Ähnlich könnte es sich auch hinsichtlich Ballingers Verteidigung verhalten haben. Ihre erste Geschichte hätte doch niemand geglaubt. Also hilft Margaret ihr, und den Rest übernimmt ihre Schwester Gwen. Die Beschreibung klingt eher nach ihr und nicht nach Celia. Hattie lässt sich also in ein Haus bringen, wo sie sich in Sicherheit wähnt. Aber Rupert spürt sie trotzdem auf. Bloß wie?«
»Ist sie vielleicht schon einmal dort gewesen?« Hester vergrub das Gesicht in den Händen. »O William, was haben wir da nur angerichtet?«
12
Einige Zeit nachdem Margaret den Gerichtssaal zusammen mit ihrer Mutter verlassen hatte, fuhr Rathbone mit dem Hansom nach Hause. Es war wieder einmal ein guter Tag gewesen. Nach Winchesters Plädoyer hatte Rathbone zunächst befürchtet, keine wirkungsvolle Verteidigung dagegen aufbauen zu können. Jetzt war er mehr als zuversichtlich, denn es bestand eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Geschworenen vernünftige Zweifel an Ballingers Schuld anerkennen würden.
Allerdings zeichnete sich immer deutlicher ein derart abstoßendes Bild von Parfitt ab, dass die Geschworenen den Mann, der ihn getötet hatte, nur mit dem größten Widerwillen hängen würden. Was für eine bittere Ironie des Schicksals! Ja, wie er das einschätzte, würden ihm einige am liebsten die Hand schütteln und vor der Verkündung des Urteils beide Augen zudrücken. Und wenn es nach ihm, Rathbone, ginge, hätte er das vielleicht ebenfalls getan und alle schlüssigen Beweise bewusst in den Wind geschlagen.
Doch er war nun einmal dem Gesetz verpflichtet. Es war seine Aufgabe, sein Fachgebiet, seine Denkschule.
Seit das Bild von Parfitt in den Vordergrund gerückt war, ging es nicht mehr so sehr darum, wer Parfitt schneller und gnädiger getötet hatte, als er es verdiente. Im Vordergrund stand stattdessen die Frage, wer ihn als Strohmann benutzt hatte, um den Löwenanteil an seinen Profiten einzustecken. Rathbone hatte den Zorn in Monks Gesicht gesehen, der ihn dazu trieb, in die tieferen Schichten der Angelegenheit vorzudringen und den Täter hinter dem Täter zu entlarven. Am Anfang hatte Monk noch dazu geneigt, sich nicht mit allem Einsatz um den Mord zu kümmern. Es hatte gewiss Momente gegeben, in denen er die Akte nur zu gern als »ungeklärt« abgestempelt und ins Archiv verbannt hätte.
Doch so oder so, jetzt würde Monk in jedem Fall scheitern, weil niemand hängen würde – weder für das geringere Verbrechen der Erdrosselung Parfitts noch für die viel größere Schandtat, diesem Kerl seine Machenschaften überhaupt ermöglicht und ihn dann mit Geld und Kunden versorgt zu haben, bis er zu diesem Monster wurde.
Er konnte Monk durchaus verstehen und wünschte, sein Scheitern ließe sich vermeiden. Und für sich selbst wünschte er, dass er nicht gezwungen wäre, derjenige zu sein, der es herbeiführte. Aber er
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