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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ausreden.«
    »Warum sollte er denn nicht aussagen?«, fragte Margaret. Sie trug ein blassblaues Kleid und hatte das Haar straff nach hinten gebunden; sie wirkte wütend. »Er muss sich ja verteidigen. Die Geschworenen müssen von ihm persönlich hören, wie er die Beschuldigungen zurückweist und sich ihnen als Anwalt zu erkennen gibt. Er handelt im Namen der verschiedensten Menschen. Selbst Männer wie Parfitt haben einen Anspruch auf Rechtsberatung und auch auf einen Verteidiger, wenn sie zu Unrecht angeklagt werden.«
    »Sie haben sogar dann einen Anspruch darauf, wenn sie zu Recht angeklagt werden«, merkte Rathbone an.
    »Sei nicht so kleinlich!«, blaffte Margaret. »Warum willst du nicht, dass er aussagt? Das hast du den Geschworenen nicht erklärt – weiß der Himmel, warum nicht.«
    »Weil ich es nicht öfter als ein Mal sagen will«, erwiderte er gereizt. »Es klingt nur nach einer Ausrede, wenn ich darauf herumreite. ›Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel‹«, zitierte er. »Nun, ich will mich an Hamlets Mahnung halten und es mir für mein Schlussplädoyer aufheben.«
    »Trotzdem sollte Vater in den Zeugenstand treten. Tut er das nicht, wirkt er schuldbewusst. Das hast du mir oft genug gepredigt. In ihren Augen wird das nach Flucht aussehen. Wenn sie ihn hören, ihn sehen, werden sie wissen, was für ein Mensch er ist und dass die Anklage an den Haaren herbeigezogen ist. Dabei geht es Monk doch nur darum, sich einen Namen zu machen. Inzwischen weiß er wohl selbst, dass er sich getäuscht hat. Nur wagt er nicht, die Anklage zurückzuziehen, weil er sich sonst unsterblich blamiert.«
    Die ganze Situation kam Rathbone entsetzlich irreal vor. Er gab sich einen Ruck. »Margaret, hast du in der Klinik mit Hattie Benson gesprochen, sie zum Ausgang geführt und dazu überredet, wegzugehen?«
    Auf Margarets Wangen bildeten sich zwei rote Flecken. Sie reckte das Kinn vor. »Sie wollte für Rupert Cardew lügen. Wenn du glaubst, ich könnte zulassen, dass mein Vater wegen etwas gehängt wird, das er nicht getan hat, hast du keinen Begriff von Liebe und Treue!«
    »Liebe bedeutet nicht, dass man das verrät, woran man glaubt, Margaret, und wer wirklich liebt, würde so etwas niemals verlangen«, entgegnete Rathbone mit zitternder Stimme.
    Margaret schloss die Augen. »Du aufgeblasener Narr!«, zischte sie. »Liebe bedeutet, einem Menschen mit aller Leidenschaft beizustehen. Sie bedeutet, bereit zu sein, sich für ihn zu opfern, weil er einem wichtiger ist als die eigene Karriere, als die eigenen Ansprüche, als die Bewunderung anderer, als das eigene Geld oder sogar als das eigene Leben!« Auch ihre Stimme bebte. »Aber du kannst so etwas nicht verstehen. Du magst, du willst, vielleicht kannst du manchmal brauchen, aber du liebst nicht! Du bist ein kalter, bigotter, selbstgerechter Mann. Du willst keine Frau haben, sondern nur jemanden, der sich auf Partys bei dir einhängt und dir deinen Haushalt organisiert.«
    Er fuhr zurück, als hätte sie ihn geschlagen. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, zur Vernunft zu kommen, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Hesters Worte hallten in ihm nach, aber er wusste schon jetzt, dass jeder Versuch, sie vor Margaret zu wiederholen, nutzlos wäre. Außerdem würden sie nach Hester klingen, was Margaret wohl endgültig zur Raserei getrieben hätte.
    Das Beste war wohl zu gehen, bevor er etwas sagte, das er nicht mehr zurücknehmen konnte.
    Doch als er vor dem Haus stand, fiel ihm nichts ein, was die Situation noch schlimmer hätte machen können.
    Er nahm einen Hansom und fuhr den weiten Weg nach Primrose Hill, ohne in Erwägung zu ziehen, dass sein Vater vielleicht ausgegangen sein könnte. Erst als der Kutscher ihn vor dem Haus absetzte und er in seiner Tasche nach Geld fischte, fiel ihm diese Möglichkeit ein. Es war ein milder Samstagnachmittag. Warum sollte Henry Rathbone da zu Hause bleiben, wenn er zahllose Dinge unternehmen oder Freunde besuchen konnte?
    »Warten Sie einen Moment«, bat er den Kutscher. »Vielleicht ist er ausgegangen. Ich komme gleich zurück und sage Ihnen Bescheid.« Damit wandte er sich um und lief den Fußweg hinauf. Plötzlich hatte er es eilig, als zählte jede Sekunde. Er schlug den Klopfer gegen die Tür, wartete eine halbe Minute, dann klopfte er wieder.
    Nichts. Sein Herz setzte einen Schlag aus, während er in einer lächerlichen Enttäuschung versank. Zugleich war er wütend auf sich selbst. Er benahm sich doch wirklich wie

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