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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zum Überlaufen mit Früchten gefüllten Schalen angerichtet. Am Tisch hätten auch sechzehn Personen bequem Platz gefunden, aber heute waren nur die acht Familienmitglieder zusammengekommen. Der Tisch war prächtig mit dem besten Kristall und Silber gedeckt, mit Schüsseln aus geschliffenem Glas und schneeweißen, zu Schwänen gefalteten Leinenservietten. In der Mitte prangte eines der herrlichsten Blumenarrangements, das Rathbone je gesehen hatte – karmesinrote und aprikosenfarbene späte Rosen und lila Chrysanthemen. Eine besondere Note verliehen der Komposition zwei aus purpurnen Rosen geformte Turmspitzen.
    »Schwiegermutter«, sagte Rathbone spontan, »das ist wirklich erstaunlich. Noch nirgendwo ist mir ein derart herrlich gedeckter Tisch untergekommen.«
    Sie errötete vor Freude. »Danke, Oliver. Ich glaube, dass selbst das beste Essen durch Schönheit für das Auge noch zusätzlich verfeinert wird.« Sie blickte zu ihrem Mann hinüber, wie um sich zu vergewissern, dass er das Kompliment gehört hatte. Und als sie das bestätigt fand, schien sie vor Stolz schier zu bersten.
    Sobald sie Platz genommen hatten, wurde der erste Gang aufgetragen: eine köstliche Suppe, die sie schnell aufgegessen hatten. Ihr folgte gebackener Fisch.
    Celia machte eine Bemerkung über eine Ausstellung mit Zeichnungen, die sie besucht hatte, und ihre Mutter ging darauf ein. Ballinger blickte unterdessen lächelnd von einem zum anderen. Nach und nach wurden sie alle ins Gespräch einbezogen. Es wurde gelacht, und es gab Komplimente. Rathbone begann sich wohlzufühlen. Wiederholt fragte ihn Ballinger nach seiner Meinung zu einer Reihe von Themen.
    Gebratener Hammelrücken mit gekochtem Gemüse, kräftiger Soße und Beilagen wurde serviert. Die Männer griffen herzhaft zu, die Frauen nahmen nur wenig und begnügten sich mit ein, zwei Mundvoll, ehe sie eine Pause einlegten, um später noch ein wenig zu essen. Die Konversation wandte sich nun ernsthafteren Themen zu: sozialen Fragen und Reformen.
    Ballinger machte einen Witz, mit dem er Schlagfertigkeit und trockenen Humor bewies und alle zum Lachen brachte. Rathbone erzählte eine Anekdote und bekam dafür von Ballinger Beifall, der sich anschließend in der Runde umsah, ob wirklich alle applaudierten, was sie dann auch taten – gerade so, als wäre ihnen die Begeisterungsbekundung offiziell genehmigt worden.
    Als der Wein getrunken war, wurde die Nachspeise gereicht, ein vorzüglicher Apfelkuchen mit dicker Sahne oder, für diejenigen, die es weniger reichhaltig wünschten, Rübensirup. Die Männer nahmen fast alle beides.
    Rathbone blickte zu Margaret hinüber und registrierte die rosige Färbung ihrer Wangen, den weichen Ausdruck und das Leuchten ihrer Augen. Mit Überraschung und beträchtlicher Freude erkannte er, dass sie nicht nur glücklich, sondern tatsächlich stolz auf ihn war, und zwar nicht wegen seiner Fähigkeit zu argumentieren oder seines hohen Ansehens in seinem Beruf, sondern wegen seines Charmes, der ja wirklich sehr viel persönlicher war als alles andere. Er spürte, wie ihn eine innere Wärme erfüllte, die nichts mit dem Essen oder dem Wein zu tun hatte.
    »Sie haben vor mehreren Jahren über das House of Lords versucht, das einigermaßen einzudämmen«, sagte er als Antwort auf eine Frage von Wilbert zur industriellen Verschmutzung der Flüsse, insbesondere der Themse.
    »Ich erinnere mich.« Georges Blick wanderte von Ballinger zu Rathbone. »Knapp gescheitert, habe ich recht?«
    Ballinger nickte, plötzlich stocknüchtern. »Lord Cardew war eine der treibenden Kräfte dahinter, armer Mann.«
    »Hoffnungslose Sache«, meinte George kopfschüttelnd. »Da waren eben zu hohe Mächte im Spiel. Reicher als die Bank of England. Und wenn man den ganzen Dreck, der anfällt, in die Flüsse leitet, sind wir immer noch zu schwach, um dieser Verschmutzung Einhalt zu gebieten.«
    »Aber wir haben das geschafft!«, widersprach Ballinger ihm scharf und mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.
    »Der Antrag ist doch gescheitert«, gab George zu bedenken.
    »Im Parlament, ja«, räumte Ballinger ein. »Aber ein paar Monate danach hat es einen Zivilprozess gegeben, den sie nach Widerspruch gewonnen haben.«
    Rathbones Interesse war geweckt. Das Thema Verschmutzung verfolgte er mit zunehmender Anteilnahme, seit er begriffen hatte, welches Elend diese bei den Menschen verursachte. Andererseits kannte er die Macht der Industrie, die hinter all dem steckte, und die Kraft

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