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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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selbst.« Sie blickte Rathbone an, in der Erwartung, dass er sich dem Argument ihres Vaters geschlagen gab.
    In diesem Moment begriff Oliver, wie tief sie ihrem Vater verbunden war, so tief, dass sie nicht einmal merkte, wie instinktiv ihr Verhalten war und wie wenig es mit rationalem Denken zu tun hatte. Schon hatte sie, ohne zu zögern, Partei gegen Monk ergriffen. Lief es am Ende darauf hinaus – Blutsbande?
    Empfand er selbst weniger für seinen eigenen Vater?
    Margaret wartete, die Frage in den Augen. Es ging hier nicht wirklich um das Gesetz, sondern um Monk und die Vergangenheit, die sie miteinander verband, die gemeinsamen Schlachten, an denen Margaret nicht teilgenommen hatte, und vielleicht auch um Hester.
    »Meine Loyalität gilt seit jeher der Wahrheit«, erklärte Rathbone, seine Worte mit äußerster Sorgfalt wählend, als liefe er barfuß auf Zehenspitzen über Glasscherben. »Und ich glaube, dass Monk genauso empfindet. Gelegentlich hat er sich geirrt. Wie auch ich. Bei der Anklage gegen Jericho Phillips hat er schlampig recherchiert, und der Mann kam davon, weil ich geschickter und sorgfältiger war als er. Andererseits war Phillips ohne Zweifel schuldig, und das bedeutet, dass Monks Urteil über den Charakter des Mannes keineswegs fehlerhaft war.«
    Ballinger legte seine großen, an den Spitzen fast vierkantigen Finger auf die mit Leder bezogene Lehne seines Stuhls. »Das mag stimmen, Oliver, aber den springenden Punkt hast du übersehen. Monk hat kein Recht, Jericho Phillips oder sonst wen zu beurteilen. Seine Aufgabe ist es, Beweise zu sammeln und sie dem Gericht vorzulegen – nicht mehr.«
    »Eine Art Sammler von moralischem Abfall«, bemerkte George selbstgefällig und warf Ballinger einen kurzen Blick zu.
    Celia lächelte.
    »Und was sind wir dann?«, hörte sich Oliver mit schneidender Schärfe fragen. »Leute, die täglich in genau diesem Abfall wühlen? Ich persönlich bin sehr froh, dass die Polizei diese Mühe auf sich nimmt und mir so etwas wie ein Raster gibt, das ich entweder gutheißen oder ablehnen kann.«
    »Also wirklich!«, protestierte Wilbert.
    Margaret wirkte nun gar nicht mehr glücklich; ihre Augen trübten sich zusehends. Sie hatte nicht erwartet, dass er dagegenhalten würde, stellte Rathbone verblüfft fest. Ihrer Meinung nach hätte er weder Monk noch sich selbst verteidigen dürfen. Dieser ruhige Raum glich tausenden anderen Empfangszimmern in London, doch viele unscheinbare Merkmale sorgten plötzlich dafür, dass er sich fremd darin vorkam. Gewiss, die bemalten Wände ähnelten all den anderen ebenso wie die aufwändig verzierten Vorhänge oder der Prunkteppich mit seinem leuchtenden Rot und Grün und sogar die Schürhaken aus Messing am Kamin. Nein, es waren die Überzeugungen hier, mit denen er nichts anfangen konnte, etwas, das so unsichtbar und notwendig war wie die Luft zum Atmen.
    »Vielleicht sollten wir uns anderen Themen zuwenden«, meinte Ballinger. Er schlug die Beine übereinander und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Letzten Donnerstag habe ich einen höchst amüsanten Abend erlebt.«
    Fast die ganze nächste Stunde lang unterhielt er sie mit einer detailreichen und lustigen Erzählung seiner Fahrt über den Fluss, gewürzt mit einer gespenstischen Beschreibung des Fährmanns und dessen bizarren Interessen. Offenbar hatte er einen alten Freund namens Harkness besucht, der in Mortlake lebte.
    Als er endlich zum Schluss kam, brach Celia in Lachen aus. »Wirklich, Papa! Du hast es geschafft, dass ich bei jedem Wort an deinen Lippen gehangen habe! Ich konnte den schrecklichen Fährmann förmlich vor mir sehen, mitsamt seinen O-Beinen und allem anderen!«
    »Glaubst du denn, das war nur eine Geschichte, um euch zu unterhalten?«, fragte Ballinger.
    »Selbstverständlich! Und ich danke dir dafür. Du warst großartig, wie immer.«
    »Nicht der Rede wert.« Er wandte sich an Rathbone. »Du kannst zu der Fähre nach Fulham rausfahren und ihn suchen. Du wirst ihn garantiert finden. Befrag ihn zu unserem Gespräch. Ich biete dir jede Wette an! Jedem Einzelnen von euch!« Er blickte Wilbert und dann George herausfordernd an.
    »Ich für meinen Teil glaube dir«, erklärte Margaret, immer noch lächelnd. »Jetzt wissen wir wenigstens, warum du dich von einem Langweiler wie Mr Harkness zum Essen einladen lässt. Es geht dir gar nicht um das Essen, sondern um die Überfahrt.«
    Diesmal lachten sie alle.
    Sie brachen spät auf, nach noch mehr Wein, belgischen

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