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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Pralinen und einer letzten Tasse Tee.
    »Danke«, sagte Margaret leise, als ihre Kutsche sich in den Verkehr einreihte und Rathbone und sie Seite an Seite auf der Bank saßen. Ihr Seidenrock bauschte sich über ihren Knien. Als sie sich ihrem Mann zuwandte, raschelte der Stoff. Im flackernden Lichtschein der entgegenkommenden Kutschen konnte Rathbone ihr Gesicht sehen. Sie lächelte, und ihre Augen blickten ihn sanft an.
    Einen Moment lang hatte er ein Gefühl von vollständiger Zugehörigkeit, und Wohlbehagen strömte durch seinen Körper. Er konnte mühelos verstehen, warum Ballinger seine anderen Schwiegersöhne als leicht irritierend empfand, warum er sie herausfordern und zum Lachen bringen musste. Welche harmlosen Unterschiede auch immer zwischen ihnen bestanden, ihrem Verhältnis lag jedoch ein Zusammengehörigkeitsgefühl zugrunde, das sich jederzeit erkennen ließ, auch wenn vielleicht nach einem Missverständnis oder einem Moment egoistischen Handelns vorübergehend an der Oberfläche kleine Störungen auftraten. Man musste sich nicht mögen, um zusammenzugehören. Der Zusammenhalt war weitaus tiefer, stärker und über kurzlebige Emotionen erhaben.
    Er ergriff Margarets Hand. Sie war warm, und mit einem Mal schlossen sich ihre Finger mit unerwarteter Kraft um die seinen.

4
    Monk hatte begonnen, sich eingehender mit Mickey Parfitts Leben zu befassen und parallel dazu mit dem seiner Freunde und Feinde, seiner Kunden sowie der Männer, die er benutzt und betrogen und in ihren Gelüsten zusätzlich bestärkt hatte. Denn wenn er wahrhaftig Jericho Phillips glich, gab es gewiss auch jene, die er erpresst hatte. Die Frage war nur, ob ein erpresster Mann sich gegen denjenigen wenden würde, der seine Sucht bediente. Wohl nur, sagte sich Monk, wenn er in einem Zustand tiefster Verzweiflung angelangt war und nichts mehr zu verlieren hatte.
    Vielleicht sollte Monk überprüfen, ob in den letzten Tagen irgendwelche bekannten Männer Selbstmord begangen oder einen plötzlichen Tod erlitten hatten, der Fragen aufwarf.
    Mickey Parfitt war an und für sich kein Mensch von besonderer Bedeutung gewesen. Am Fluss starben jede Woche Leute. Und für die Untersuchung eines Verbrechens, das keinerlei Folgen für die Stadt oder ihre Bevölkerung hatte, konnte die Wasserpolizei allenfalls zwei Männer abstellen. Ein kleiner Fisch mehr oder weniger erregte keine Furcht oder gerechte Empörung, ja, im Grunde weckte er kaum Interesse.
    Es war ein ruhiger, dunstiger Morgen, als Monk und Orme einen Hansom für den Weg von Wapping hinaus nach Chiswick nahmen. Sie hätten auch mit dem Boot fahren können, aber dann hätten sie all den Biegungen und Windungen des Flusses folgen müssen, und eine so weite Strecke zu rudern wäre eine schreckliche Knochenarbeit gewesen. Und eigens dafür zwei zusätzliche Männer vom normalen Dienst abzuziehen konnten sie sich nicht leisten.
    »Keine Ahnung, ob mir so sehr daran liegt«, knurrte Orme, als er, den Blick starr nach vorn gerichtet, in dem Wagen saß. Obwohl der Tag mild zu werden versprach, war er wie immer mit einer einfachen dunklen Jacke und Hose sowie einer tief in die Stirn gezogenen Mütze bekleidet.
    Monk wusste, was ihm durch den Kopf ging: die verängstigten Kinder mit den leeren Augen, die er auf Phillips’ Boot gesehen hatte, und die Leiche jenes dünnen, geschundenen Jungen, die sie vor Kurzem aus dem Wasser gezogen hatten. Ihm selbst war völlig egal, ob sie Mickeys Mörder stellten oder nicht; und von allen Leuten konnte er vor Orme am wenigsten so tun, als wäre das nicht so.
    »Vielleicht werden wir denjenigen, der das getan hat, nie finden«, murmelte Monk, ohne besondere Betroffenheit zu zeigen.
    Orme musterte ihn, unschlüssig, wie ernst das gemeint war.
    Monk zuckte mit den Schultern. »Natürlich verdient Mord bestraft zu werden, wer immer das Opfer sein mag. Wenn wir dem Täter auf die Spur kommen, werden wir ihm eine Heidenangst einjagen.« Und das war kein Witz. Viele hatten sich von Monk abschrecken lassen, stolz war er nicht unbedingt darauf. Unter denen, die vor seinem ätzenden Urteil Angst hatten, waren auch eigene Mitarbeiter gewesen, die jünger waren als er, nicht so fähig und scharfsinnig. Er wurde bewundert, aber auch gefürchtet.
    Allerdings war das vor dem Unfall gewesen, der ihm sein Erinnerungsvermögen geraubt hatte, als er noch der Metropolitan Police angehört hatte, bis ihn ein fürchterlicher Streit mit Runcorn seine Stelle kostete. Danach hatte er

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