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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich das einbilden würde. Und Crumble tut nur das, was man ihm aufträgt. Mir ist nur nicht klar, ob ’Orrie wirklich so dämlich ist, wie er aussieht.«
    »Angst oder Geld«, murmelte Monk nachdenklich. »Wahrscheinlich Geld, früher oder später. Wir müssen herausfinden, welche Aufzeichnungen noch vorhanden sind, und den Rest bei anderen Zeugen in Erfahrung bringen. Große Summen sind durch Mickeys Hände geflossen. Da muss er dem Mann hinter dem Ganzen zwangsläufig Bericht erstattet haben.«
    Orme schnitt eine Grimasse. »Sein Kunde?«, schloss er.
    »Hoffentlich!« Monk staunte selbst darüber, wie ernst er das meinte.
    Sie verbrachten diesen und die nächsten zwei Tage mit der Suche nach jeder Spur von Zahlungen oder von Unterlagen, die Parfitt außer den von Tosh verbrannten gehabt haben mochte. Sie verhörten Fährmänner und Kahnführer, Arbeiter in sämtlichen Werften an beiden Flussufern zwischen Brentford und Hammersmith, jeden Lieferanten von Seilen, Farbe, Segeltuch, Nägeln oder sonstigen Werkzeugen oder Ausrüstungsgegenständen für Schiffe. Sie verfolgten den Kurs des Boots anhand der Anlegestellen und seiner wenigen Fahrten flussauf- und flussabwärts. Die Reparaturen, Anlegegebühren und die an Bord geladenen Mengen von Lebensmitteln und Alkohol machten klar, um welche Art von Gewerbe es sich handelte. Der Gewinn musste in der Tat gewaltig gewesen sein.
    Das Muster ließ sich auch mithilfe der Stellen ergänzen, wo das Boot die meiste Zeit gelegen hatte, einschließlich der Treffpunkte, wo Kunden abgeholt worden waren. Größtenteils waren das Chiswick an der Uferpromenade und Vergnügungsstätten wie die berüchtigten Cremorne Gardens etwas weiter flussabwärts in Richtung City. Bei Tageslicht war das ein herrlicher Park mit ausgedehnten Rasenflächen im Schatten eleganter Bäume, mit Blumenbeeten, gewundenen Wegen, bunten Lampen, Grotten, beleuchteten Tempeln, Gewächshäusern und einer Bühne mit tausend Spiegeln, auf der Orchester spielten. Es gab Ballettaufführungen, ein Marionettentheater und sogar einen Zirkus. Auf den großen freien Flächen wurden Feuerwerke veranstaltet, und der Park war berühmt für die Heißluftballone, die von hier aus aufstiegen.
    Berüchtigt waren die Cremorne Gardens wegen der Aktivitäten, die dort nach Einbruch der Dunkelheit stattfanden: die anstößigen Tänze, die Trinkgepflogenheiten und alle möglichen Verabredungen und Vereinigungen, die teilweise an Ort und Stelle vollzogen wurden, soweit dies Büsche, schmale Wege und Grotten erlaubten. Andere Aktivitäten, die gegen die Gesetze waren, geschahen weniger öffentlich an anderen Orten.
    »Wer hat die Männer alle von hier aus zum Unterhaltungsprogramm aufs Boot und wieder zurück gebracht?«, fragte Orme mehr im Selbstgespräch, als an Monk gerichtet.
    »Wahrscheinlich ’Orrie oder Crumble«, meinte Monk, den Blick auf das verblassende Licht über dem Fluss gerichtet, wo Fliegen träge über das Wasser schwirrten und Fische beim Auftauchen an der Oberfläche kleine, sich stetig ausbreitende Ringe erzeugten. »Aber wenn sie behaupten, es wäre um Glücksspiel gegangen, hätten wir Schwierigkeiten, das Gegenteil zu beweisen.«
    »Was haben dann die Kinder an Bord gemacht?«, fragte Orme sarkastisch. »Ihnen Brandy serviert? Glauben Sie, die Jungen können uns weiterbringen?« Seine Stimme wurde rauer. »Ein paar waren erst fünf oder sechs Jahre alt. Sie haben ja noch nicht einmal begriffen, was mit ihnen angestellt wurde. Sie müssen geglaubt haben, sie werden für irgendeine Missetat bestraft.«
    Orme atmete tief durch; seine Augen wichen dabei Monks Blick aus. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich wissen will, wer diesen Dreckskerl umgebracht hat, Sir. Und ich würde vor keinem Richter einen Eid ablegen wollen, weil ich es nämlich am liebsten selbst getan hätte.«
    Monk betrachtete von der Seite Ormes Gesicht im Abendlicht. Die offenen Züge wirkten auf einmal sehr verletzlich. Sein Leben lang hatte Orme dem Gesetz gedient, doch jetzt zweifelte er daran.
    Vor Kurzem hatte sich Monk noch gefragt, ob Orme ihn für zart besaitet hielt, für zu weich, um seine Aufgabe zu erfüllen. Jetzt erkannte er in Ormes abgewandtem Gesicht exakt denselben Schmerz, den er empfand. Doch Opfer brauchten Gerechtigkeit, nicht tatenloses Mitleid. Scuff kam ihm in den Sinn, und plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob auch nur eines von beidem wirklich sinnvoll war. Geholfen hätte ihnen doch nur eines: dass

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