Einer trage des anderen Schuld
Sir«, sagte der Mann hastig. »Welche ›wenigen‹ haben Sie im Sinn? Ich bin mir sicher, dass ich Ihnen da helfen kann.«
»Das dachte ich mir.« Monk zog die Zeichnung des Halstuchs aus der Tasche. »Im Besonderen liegt mir an demjenigen, der ein Tuch wie dieses trägt.«
Der Kartenverkäufer betrachtete die Zeichnung ohne Interesse, doch dann schien sich eine Erinnerung in ihm zu regen. Der Mann errötete, erwog offenbar seine Chancen, mit einer Lüge davonzukommen. Dann blickte er Monk in die Augen und traf eine Entscheidung. »Sieht nach dem jungen Burschen aus, der öfter zusammen mit Mr Bledsoe herkommt, Sir. Aber ganz sicher kann ich das nich’ sagen.«
»Beschreiben Sie ihn«, befahl ihm Monk knapp.
»Langes, blondes Haar. Blendendes Aussehen. Sprüht vor Charme. Aber das tun sie ja alle, die feinen Herren. Sind da irgendwie reingeboren. Das wird ihnen wohl auf silbernen Löffeln ins Maul gestopft.«
»Das könnte ich mir auch vorstellen. Erzählen Sie mir von Mr Bledsoe. Woher kennen Sie seinen Namen?«
»Weil ich gehört hab, wie ihn einer so angesprochen hat natürlich! Meinen Sie, ich wär irgend so ein Gedankenleser?«
Monk ignorierte die Provokation. »Wie sieht er aus?«, fragte er neugierig.
»Kleiner. Dunkles Haar. Augen recht nahe beieinander. Trägt immer ’nen Zylinder. Vermutlich, damit er größer wirkt.« Dieser Gedanke brachte ihn zum Kichern. »Große Hände. Das is’ mir aufgefallen: dass er richtige Schaufeln hat.«
Monk bedankte sich und ging.
Am nächsten Tag dauerte es nicht lange, bis er die Adresse der Familie Bledsoe gefunden und in den Polizeirevieren Mayfare, Park Lane und Kensington Erkundigungen eingezogen hatte. Er erwähnte etwas von einem verloren gegangenen Schmuckstück, das er seinem Eigentümer zurückgeben wolle. Es gab keine Nachfragen, und er hatte keine Gewissensbisse wegen seiner Lüge.
Er traf den ehrenwerten Parlamentsabgeordneten in dessen Haus an und stellte fest, dass er der Beschreibung des Mannes in den Cremorne Gardens erstaunlich genau entsprach. Der Anblick seiner gepflegten, aber ungewöhnlich großen Hände räumte jeden Zweifel aus. Bledsoe zog es vor, Monk nicht im Beisein von Familienmitgliedern oder Bediensteten zu empfangen.
»Was kann ich für Sie tun, Officer?«, fragte er mit sorgfältig eingeübter Beiläufigkeit.
»Ich suche einen Herrn, der ein ziemlich edles Halstuch verloren hat«, antwortete Monk glatt. »Ich glaube, er könnte Ihrem Freundeskreis angehören.«
»Nicht, dass ich davon wüsste.« Bledsoe bedachte ihn mit einem feinen Lächeln; die Anspannung fiel von seinen Schultern ab, das Unbehagen legte sich. »Aber falls irgendjemand dergleichen erwähnen sollte, werde ich ihm sagen, dass es gefunden wurde. Geben Sie es doch bei der örtlichen Polizeiwache ab, guter Mann. Dann kann man es dort abholen.« Er schien zu überlegen, ob er in der Hosentasche nach einer Münze wühlen solle. Seine Hand zuckte schon, verharrte dann aber. Er nickte knapp und wandte sich zum Gehen.
Monk zog die Zeichnung aus der Tasche und zeigte sie ihm. »Es ist ziemlich auffällig«, bemerkte er.
Bledsoe warf einen Blick darauf. Seine Miene verdüsterte sich. »Was, zum Teufel, ist das?«, fragte er scharf. »Wenn Sie das Ding gefunden haben, wo ist es dann?«
»Auf der Polizeiwache in sicherer Verwahrung«, antwortete Monk.
»Gut, dann holen Sie mir das verdammte Ding gefälligst! Ich werde dafür sorgen, dass es seinem Eigentümer zurückgegeben wird.«
Monk ließ sich nicht beirren. »Es ist wichtig, dass ich es der richtigen Person persönlich aushändige. Wissen Sie, wer das ist?«
»Allerdings!«, blaffte Bledsoe. »Jetzt ziehen Sie endlich los und bringen es mir! Verdammt noch mal, worauf warten Sie denn noch, Mann?«
Monk faltete die Zeichnung zusammen und steckte sie wieder ein. »Wem gehört es, Sir?«
Bledsoe funkelte ihn böse an. »Rupert Cardew. Zumindest sieht es so aus wie eines, das er mal getragen hat. Um Himmels willen, warum machen Sie ein solches Theater um ein dämliches Halstuch?«
Monk spürte, wie sich in seinem Inneren ein Abgrund öffnete. Er wusste, wie gern Hester Cardew mochte und dass er der Klinik sehr geholfen hatte. Seine Großzügigkeit hatte es ermöglicht, Medikamente zu kaufen und neue Patientinnen aufzunehmen.
»Sind Sie sicher?« Er erschrak darüber, wie heiser seine Stimme auf einmal klang.
»Und ob!« Bledsoe verlor nun endgültig die Beherrschung. »Holen Sie das Ding endlich, dann gebe
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