Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Blick. Eine Drohung war das nicht. Sucff hatte auch Angst um sie. Sie sah es seinen Augen an. Darin lag ein schlimmer Schmerz, der an ihm nagte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte der Junge so etwas wie Sicherheit gefunden, und schon war diese bedroht. Natürlich war er an Verlust gewöhnt, doch saß diese neue Angst zu tief, als dass er sie allein bewältigen konnte. Andererseits war er zu sehr an Einsamkeit gewöhnt, um mit anderen darüber zu sprechen, ja, er war sogar zu verletzlich, um sich das selbst einzugestehen.
    »Ich gehe mit Ihnen mit«, erklärte er, ohne ihr Gesicht aus den Augen zu lassen. Er wartete regelrecht darauf, dass sie ihn zurückwies.
    Es war ein tollkühnes Vorhaben. Und vielleicht kam es sie beide teuer zu stehen. Aber Hester nickte. »Danke. Wenn William wütend wird, sage ich ihm, dass du nur mitgekommen bist, damit ich garantiert in Sicherheit bin. Es war nicht deine Schuld.«
    Grinsend vergrub er die Hände in den Jackentaschen. »Bestimmt nich’!«, pflichtete er ihr, von Erleichterung überwältigt, bei.
    Eigentlich wollte Hester von Monk nur wissen, welche Aussagen ihm darüber vorlagen, wo Arthur Ballinger in der Nacht von Parfitts Tod gewesen war. Die Beschreibung des Fährschiffers traf Ballinger jedenfalls außerordentlich genau – auch wenn sie natürlich ebenfalls au f T ausend andere Männer zutraf. Sie hasste es, sich diese Möglichkeit vorzustellen, zumal sie wusste, welche Schmerzen das für Rathbone und vor allem für Margaret bedeuten würde. Doch wer immer hinter den Booten von Männern wie Phillips und Parfitt steckte, musste allein schon um Scuffs willen gestellt und für die Verschleppung, Vergewaltigung und auch Ermordung kleiner Kinder angeklagt und gehängt werden. Dass sich ihm auch Erpressung nachweisen lassen würde, bezweifelte sie, denn wer würde schon zugeben, dass er eine besondere Schwäche hatte und so ebenfalls zu einem der Opfer dieses Verbrechers geworden war? Auch das machte das Geschick des Erpressers aus.
    »Warum?«, fragte Monk sofort zurück. Sie standen Seite an Seite vor der offenen Glastür zum Garten. Die Luft an diesem ruhigen Abend war durchdrungen von den Gerüchen der Erde und des feuchten Laubs. Die Dämmerung war hereingebrochen, und bis auf das Rascheln der Blätter im Wind und ein oder zwei Rufe einer Eule drangen nur wenige Geräusche aus dem kleinen Garten zu ihnen. Vielleicht war der Nachtvogel vom Southwark Park gekommen, der praktisch um die Ecke lag. Der Himmel war kristallklar; das letzte Licht schimmerte auf dem Fluss unter ihnen wie auf einem blank polierten Zinnteller. Hier oben war von den Geräuschen der Boote nichts zu hören, keine Rufe, keine Nebelhörner. Ein einsames Transportboot mit Gaffelsegel trieb lautlos wie ein Gespenst den Fluss hinauf.
    »Warum?«, wiederholte Monk, den Blick auf sie gerichtet.
    Hester hatte zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, ihn zu täuschen, nur hatte sie sich eben ihr eigenes Urteil vorbehalten wollen. »Weil ich heute Vormittag mit Crow gesprochen habe, für den Fall, dass er helfen kann.«
    »Wem helfen?«, fragte Monk sanft. »Rupert Cardew? Ich kann es ihm nicht verdenken, dass er Mickey Parfitt umgebracht hat, aber das Gericht wird ihm das nicht vergeben, Hester, egal, wie niederträchtig Parfitt war. Es sei denn, es war Notwehr. Aber, Hand aufs Herz, das wird niemand glauben. Oder kannst du dir vorstellen, dass ein Mann wie Parfitt dasteht und abwartet, wie Cardew sein Halstuch abnimmt, ein halbes Dutzend Knoten knüpft, es ihm um die Kehle schlingt und zuzieht?«
    »Hat er ihn nicht vorher mit einem Schlag auf den Kopf außer Gefecht gesetzt?«, widersprach Hester. »Wenn Parfitt bewusstlos war, konnte er ihn nicht mehr daran hindern. Rupert könnte …« Sie verstummte. Genau auf dieses Argument hatte Monk abgezielt. »Ich verstehe«, gab sie zu. »Bewusstlos hätte er für Rupert – oder für sonst jemanden – ohnehin keine Gefahr mehr dargestellt.«
    »Eben. Du kannst ihm nicht helfen, Hester.« In Monks Stimme klang Trauer über eine Niederlage an, und in seinen Augen schimmerte bitterer Humor auf. Sie wusste, dass er sich voller Selbstironie daran erinnerte, wie sie und er vor gar nicht so langer Zeit vor Gericht die Klingen mit Rathbone gekreuzt hatten. Ihr Freund hatte Jericho Phillips verteidigt, und sie waren ihres Sieges so unendlich sicher gewesen, nachdem seine moralische Schuld für sie unumstößlich festgestanden hatte.
    Hester wollte widersprechen, doch

Weitere Kostenlose Bücher