Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
befanden sich mehrere Häuser. Er klopfte an einer Tür, wartete, zögerte kurz und klopfte wieder in exakt demselben Rhythmus.
    Unmittelbar darauf öffnete ein Mädchen von etwa zwanzig Jahren die Tür. Sie war mollig, von heller, absolut makelloser Haut und hatte Haare, die so bleich waren, dass man sie im dunklen Eingang fast für weiß halten konnte. Als sie Crow erkannte, spannten sich ihre Züge vor Angst an, doch sie machte keine Anstalten, die Tür wieder zu schließen.
    Crow bedachte sie mit seinem breitesten Grinsen, bei dem er nur noch aus blitzenden Zähnen zu bestehen schien, und stieß die Tür weiter auf, sodass sie beinahe gegen die Wand dahinter knallte.
    »Hallo, Hattie«, begrüßte er das Mädchen freundlich. »Gute Zeit für einen Besuch, hm? Ich hab jemanden mitgebracht, der dich kennenlernen will.« Ohne sich umzudrehen, winkte er Hester und Scuff herein.
    Scuff schloss die Tür. Während seine Augen unablässig von einer Seite zur anderen wanderten, hielt er sich dicht hinter Hester, ja, er trat ihr schon fast auf die Fersen.
    Hattie führte die drei in eine schmale Küche, wo ein kleines Feuer eine Herdplatte warm hielt und von einer Pumpe in der Ecke Wasser in eine dünne Blechschale tropfte.
    »Was wollen Sie?«, fragte sie vor Anspannung heftig schluckend. Ihre großen hellblauen Augen blieben die ganze Zeit auf Crow gerichtet, als wäre sonst niemand im Raum.
    »Erzähl Mrs Monk, was du mir über Rupert Cardew gesagt hast«, bat Crow sie. Seine Stimme war sanft, fast lockend, doch sie strahlte eine Macht aus, die seine zwanglose Art zu sprechen Lügen strafte.
    Hattie schluckte erneut. Hester bemerkte, dass ihre Hände zitterten. »Ich hab sie eingesteckt«, sagte sie, immer noch an Crow, nicht an Hester gewandt.
    »Du hast was eingesteckt, Hattie?«, drängte er.
    Sie fasste sich mit ihrer weißen Hand an die Kehle. »Seine Binde. Er hatte sie ja abgenommen, und da hab ich sie einfach versteckt, als er nich’ hinschaute. Er war stockbesoffen und hat beim Gehen gar nich’ gemerkt, dass sie ihm fehlt.«
    »Sein Halstuch. Welche Farbe hatte es, Hattie?«
    »Blau, mit kleinen gelben Tieren darauf.« Sie beschrieb mit dem Zeigefinger einen Schnörkel in der Luft.
    »Warum hast du das getan?«
    »Keine Ahnung.«
    »O doch, du weißt es sehr wohl. War es Mickey Parfitt, der dich aufgefordert hat, es zu stehlen?«
    »Nein! Das …« Wieder schluckte sie. »Es war in der Nacht, bevor sie ihn im Fluss gefunden haben.«
    »Wem hast du es gestohlen, Hattie?«
    »Ich hab’s Ihnen doch gesagt. Mr Cardew.«
    »Und für wen? Wem hast du es gegeben?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihr ganzer Körper spannte sich immer mehr an, bis alle Muskeln zu zittern schienen. »Ich weiß nich, wer’s hat! Und ich hab überhaupt nix gesagt! Das Ding is’ teurer, als mein Leben wert is’!«
    Crow wandte sich an Hester. »Mehr kann ich leider nicht aus ihr herausbringen. Es tut mir leid.«
    Hester musterte die junge Frau. Vielleicht brachte das Halstuch sie wirklich in Lebensgefahr. Es fiel ihr nicht schwer, das zu glauben. »Das macht nichts«, sagte sie gelassen. »Was zählt, ist, dass Rupert es nicht hatte. Folglich kann er es nicht verknotet und Mickey Parfitt um den Hals gelegt haben. Vielen Dank. Damit sind wir einen ganz entscheidenden Schritt weitergekommen.« Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Crow um. Natürlich würde sie das Mädchen später dazu drängen, zu verraten, wem sie das Halstuch gegeben hatte, aber es war gut möglich, dass sie das auch auf andere Weise herausfand. Bestimmt gab es noch mehr Leute, denen ein Fremder oder ein bestimmter Besucher aufgefallen war. Für den Augenblick genügte ihr die unendliche Erleichterung darüber, dass Rupert nicht der Schuldige war.
    Als Nächstes standen der Mord an Mickey Parfitt und der unbekannte Eigentümer des Bootes auf ihrer Liste, doch alles zu seiner Zeit. Sie bedachte nun auch Hattie mit ihrem Lächeln und dankte ihr noch einmal.

7
    Monk überquerte den Fluss früh am Morgen mit der ersten Fähre. Es war ein kühler, ruhiger Tag; an der Wasseroberfläche zeigte sich kaum ein Kräuseln der trägen Gezeitenströmung. Nebelschwaden hüllten die vor Anker liegenden Boote ein. Wie aus dem Nichts tauchten immer wieder Verbände von Leichterbooten auf.
    Er hatte Indizien gegen Rupert Cardew gesammelt und war darauf vorbereitet, sie dem Gericht zu präsentieren, wenn es zum Prozess kam. Es war eine undankbare Aufgabe, an der er in Wahrheit kaum mehr

Weitere Kostenlose Bücher