Eines Abends in Paris
…«, er legte eine Kunstpause ein, »Mittwoch.«
»Weil sie zu ihrer Tante fährt«, warf ich ein.
»Richtig. Sie fährt zu ihrer alten … Tante «, wiederholte er und das Wort klang plötzlich wie eine Lüge. »Ihr küsst da also im Hof rum, es ist mitten in der Nacht, alles ist spitzenmäßig. Sie bittet dich nicht in ihre Wohnung. Sie gibt dir nicht ihre Telefonnummer.«
Ich schwieg.
»Sie fährt eine Woche zu ihrer Tante und kommt nicht auf die Idee, dir ihre Nummer zu geben? So als frisch Verliebte? Ich meine, da hängt man doch jede freie Minute am Telefon. Sie ist eine Frau, mein Lieber. Frauen lieben das Telefon. Und jetzt, mein Freund, kommen wir zum springenden Punkt.« Er zielte mit dem Messer auf mich. »Sie möchte gar nicht angerufen werden. Ist vielleicht zu gefährlich. Jemand könnte das Gespräch mitbekommen. Jemand könnte ihr Handy checken …«
»Lächerlich!«, rief ich und merkte, wie ein leises Unbehagen in mir aufstieg. »Hony soi qui mal y pense. Jetzt schließt du aber gewaltig von dir auf andere, mon ami. Und hör auf, mit dem Messer vor meiner Nase herumzufuchteln.« Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. »Das sollen Fakten sein? Du gibst hier eine Unterstellung nach der anderen von dir.«
»Ich kenne die Frauen«, sagte er schlicht.
Es war nicht einmal Angabe, er kannte wirklich viele Frauen, und ich hatte oft das Gefühl, dass er sie mindestens so aufmerksam studierte wie die Sterne der Milchstraße.
»Diese hier ist anders«, sagte ich.
Er sah mich mitleidig an. »Nun gut. Lassen wir das. Schauen wir lieber weiter auf unsere kleine Geschichte. Mélanie …«
»Mélanie schreibt mir einen Brief«, fuhr ich triumphierend dazwischen. »Warum hätte sie das tun sollen? Warum hätte sie mir einen Brief schreiben sollen, wenn ihr nichts daran liegen würde, mich wiederzusehen?«
Robert hob die Hand. »Mo-ment. Das ist doch nur ein weiteres Argument für meine Theorie. Überleg doch mal! Sie schreibt dir einen Brief, aber telefonieren will sie nicht. Sonst hätte sie nach deiner Nummer gefragt.«
»Okay, lassen wir das mit dem Brief«, entgegnete ich eingeschnappt. »Menschen wie du wissen wahrscheinlich nicht mal mehr, was ein Füller ist.«
»Keine Beleidigungen, bitte.« Robert lächelte gewinnend. »Jeder nach seiner Façon.« Er klopfte mit dem Messer auf die Tischplatte. »Fakt ist, sie ruft dich die ganze Woche nicht an, nicht mal, als sie dich versetzt. Und das, obwohl sie die Adresse deines Kinos kennt. Aber vielleicht ist sie ja so altmodisch, dass sie es nicht schafft, im Internet eine Telefonnummer ausfindig zu machen. Sie arbeitet doch in einem Antiquitätenladen, nicht wahr?«
»Ich bin erstaunt, wie genau du zugehört hast.«
»Ich höre immer genau zu, Alain. Schließlich bist du mein Freund, und dein Wohl und Wehe liegt mir sehr am Herzen.«
»Falls du eins hast.«
Robert nickte bedächtig und legte seine Hand an die Brust. »Oh ja, das habe ich. Ein Herz. Gesund und rot und äußerst vital – willst du mal fühlen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Fakt zwei: Sie erscheint nicht zu eurer Verabredung, obwohl sie – wie du später selbst feststellen konntest – zu Hause ist …«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt ihre Wohnung war!«, rief ich dazwischen. »Meine Güte, ich war nur einmal da und damals hab ich weiß Gott nicht darauf geachtet, ob es nun der erste, zweite oder dritte Stock war …«
»Fakt drei: Mitten in der Nacht kommt ein fremder Mann aus dem Haus – wahrscheinlich sogar aus ihrer Wohnung. Das würde natürlich auch erklären, warum sie keine Zeit für dich hatte. Das war wahrscheinlich einer von diesen falschen Männern‹.«
Robert lehnte sich zufrieden zurück. »Ich glaube, diese Mélanie hat dir ganz schön was vorgemacht mit ihrem mimosenhaften Getue. Vielleicht ist das so ’ne Masche von ihr. Die wollte zweigleisig fahren und da kamst du ihr gerade recht. So wie ich die Sache sehe, hatte sie einfach Krach mit ihrem Freund und dann war sie mit ihm im Urlaub und alles war wieder gut. Oder sie war tatsächlich in der Bretagne bei ihrer Tante und ihr Typ ist anschließend wieder aufgetaucht. Große Versöhnung im grand lit, Ende aus, Micky Maus.«
Er spießte ein Stück Baguette mit dem Messer auf und hielt es hoch wie eine Trophäe. »Nun mach nicht so ein Gesicht, Alain, so was ist selbst mir schon passiert. Man gerät da in eine Geschichte rein und weiß gar nicht, wie einem geschieht. Ist nicht deine Schuld. Du
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