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Eines Greifen Ei

Eines Greifen Ei

Titel: Eines Greifen Ei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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»Wie geht's?«
    Sidney kicherte. »Ich strenge mich an, wenn du das meinst. Ich finde, daß das ›Wie‹ dabei keine Rolle spielt.«
    »Okay.«
    »Eine bessere Formulierung wäre die Frage gewesen, warum ich nicht bei der Arbeit bin.« Er stand auf und begleitete Gunther auf sehr normale Weise die Treppe hinauf. »Zweifellos kann ich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Du würdest doch auch nicht in deiner Abwesenheit größere Operationen durchführen wollen, oder?« Er kicherte erneut. »Das ist ein Oxymoron. Wie Pferde: diese Praxiteles-Körper von klassischer Schönheit, die solchen langen surrealen Kot ausscheiden.«
    »Okay.«
    »Ich habe immer schon Leute bewundert, die soviel Kunst in einem einzigen Bild unterbringen.«
    »Sidney«, sagte Beth Hamilton. »Wir suchen unsere Freunde. Drei Leute in blaugestreiften Arbeitsanzügen.«
    »Ich habe sie gesehen. Ich weiß, wohin sie gegangen sind.« Seine Augen waren kalt und leer, sie schienen auf nichts im besonderen gerichtet zu sein.
    »Können Sie uns zu ihnen führen?«
    »Selbst eine Blume erkennt ihr eigenes Gesicht.« Ein hübsch gewundener Kiespfad führte durch private Gartenanlagen und Krockettplätze. Er schlug ihn ein, und sie folgten ihm.
    Es befanden sich nicht viele Leute auf der zweiten Ebene; bei Ausbruch des Wahnsinns hatten sich die meisten offenbar in die Höhlen verkrochen. Die wenigen, die geblieben waren, nahmen entweder keine Notiz von ihnen oder zuckten vor ihnen zurück. Gunther ertappte sich dabei, wie er ihnen eindringlich in die Gesichter blickte und zu ergründen versuchte, welche Krankheit er darin spürte. Angst hatte sich in ihren Augen eingenistet - und das schreckliche Bewußtsein, daß ihnen etwas Entsetzliches widerfahren war, gepaart mit der völligen Gleichgültig für dessen Natur.
    »O Gott, diese Leute!«
    Beth Hamilton gab ein Brummen von sich.
    Er hatte das Gefühl, durch einen Traum zu wandeln. Geräusche wurden durch seinen Anzug verzerrt, und die Farben büßten durch das Visier seines Helms an Intensität ein. Es war, als ob er behutsam von der Welt entfernt worden wäre, da und gleichzeitig nicht da, ein Eindruck, der sich mit jedem neuen Gesicht verstärkte, das mit einer irren, nichts wahrnehmenden Gleichgültigkeit durch ihn hindurchblickte.
    Sidney bog um eine Ecke, fiel in Laufschritt und trabte in einen Tunneleingang. Gunther rannte hinter ihm her. An der Öffnung blieb er stehen, damit sich sein Helm an die veränderten Lichtverhältnisse anpassen konnte. Als seine Sicht wieder klar wurde, sah er Sidney durch einen Seitengang rennen. Er folgte ihm.
    An der Kreuzung sah er sich um und entdeckte keine Spur ihres Führers. Sidney war verschwunden. »Hast du gesehen, in welche Richtung er weitergelaufen ist?« fragte er Beth Hamilton über die Sprechanlage. Es kam keine Antwort. »Beth?«
    Er blickte den Gang entlang, hielt inne und machte kehrt. Diese Stollen gingen sehr tief. Er könnte sich für immer darin verlaufen. Er ging wieder hinaus auf die Terrassen. Beth Hamilton war nirgendwo zu sehen.
    Da ihm nichts Besseres einfiel, folgte er dem Pfad. Direkt hinter einem Zierstrauch mit Holunderbeeren erstarrte er bei einem Anblick, der William Blake entlehnt zu sein schien.
    Der Mann hatte Hemd und Sandalen abgelegt und trug nur eine kurze Hose. Er hockte auf einem Felsen, wachsam, geduldig, und aß eine Tomate. Ein Stahlrohr lag quer über seinen Knien wie ein Generalstab oder ein Zepter, und er hatte sich aus so etwas wie Platindraht eine Krone geflochten, von der ein Vermögen an supraleitfähigen Chips auf seine Stirn baumelte. Er war jeder Zoll ein königliches Tier.
    Er starrte Gunther an, reglos und ohne zu blinzeln.
    Gunther erschauderte. Der Mann erschien weniger menschlich als vielmehr anthropoid, mit einiger Geschicklichkeit, doch ohne Denkvermögen. Er hatte ein Gefühl, als betrachte er über Äonen hinweg Großvater Affe, der am Rande des Bewußtseins kauerte. Unwillkürlich wurde er von einer Woge abergläubischen Entsetzens ergriffen. Waren das die Folgen, wenn die höheren geistigen Funktionen ausgeschaltet wurden? Lauerte der Archetypus direkt unter der Haut und wartete auf die Gelegenheit, in Erscheinung zu treten?
    »Ich suche meine Bekannte«, sagte er. »Eine Frau in einem G5-Anzug, wie ich einen anhabe. Haben Sie sie gesehen? Sie war auf der Suche nach drei ...« Er brach ab. Der Mann gaffte ihn ausdruckslos an. »Ach, was soll's.«
    Er wandte sich ab und ging weiter.
    Nach einer Weile

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