Eines Greifen Ei
matt. »Hiro.«
Sie näherten sich vorsichtig, ein Halbkreis von Anzügen mit ausdruckslosen Visieren. Er konnte die Firmenzeichen erkennen. Mitsubishi. Westinghouse. Holst Orbital. Der rote und orangefarbene Anzug der Ismailowa war darunter sowie ein lebhaftes Mondrian-Muster, das er nicht erkennen konnte. Die Frau sprach erneut, gespannt, lauernd. »Sag mir, wie es dir geht, Hiro.«
Das war Beth Hamilton.
»Das ist nicht Hiro«, sagte Krishna. »Es ist Gunther. Das da ist Hiro. Was er auf den Armen trägt. Wir waren draußen im Hochland und ...« Seine Stimme klang vor Erschütterung brüchig und versagte vollends.
»Bist du das, Krishna?« fragte jemand. »Das nenne ich Glück. Schickt ihn voraus, wir werden ihn beim Eintreten brauchen.« Jemand anderes warf Krishna einen Arm um die Schultern und führte ihn weg.
Über Sprechanlage sprach eine klare Stimme zum Aufseher. »Dmitri, bist du das? Ich bin Signe. Du erinnerst dich doch an mich, oder nicht, Dmitri? Signe Ohmstede. Ich bin eine Freundin von dir.«
»Natürlich erinnere ich mich an dich, Signe. Ich erinnere mich gut an dich. Wie könnte ich eine Freundin jemals vergessen. Klar, ich erinnere mich.«
»Oh, das ist gut. Ich freue mich ja so. Hör gut zu, Dmitri. Alles ist in bester Ordnung.«
Empört schaltete Gunther seine Sprechanlage auf Sendung. »Von wegen! Dieser Idiot da oben ...«
Ein bulliger Mann in einem Westinghouse-Anzug packte Gunthers verletzten Arm und schüttelte ihn. »Halt's Maul, du Scheißer!« schimpfte er. »Hier geht es um ernste Dinge, verdammt noch mal. Wir haben keine Zeit, ein Baby wie dich zu hätscheln.«
Beth Hamilton schaltete sich dazwischen. »Herrjeh, Posner, er hat doch gerade miterlebt ...« Sie hielt inne. »Ich werde mich um ihn kümmern. Dann wird er sich schon beruhigen. Laß uns eine halbe Stunde Zeit, einverstanden?«
Die anderen wechselten Blicke, nickten und wandten sich ab.
Zu Gunthers Überraschung sprach Ekatarina über den Mentalkom-Chip. »Es tut mir leid, Gunther«, murmelte sie. Dann war sie weg.
Er hielt Hiros Leichnam noch immer auf den Armen. Er ertappte sich dabei, wie er auf das verwüstete Gesicht seines Freundes hinabstarrte. Das Fleisch war blau angelaufen und sah aufgedunsen aus wie ein zu lange gekochtes Würstchen. Er konnte den Blick nicht abwenden.
»Komm!« Beth stupste ihn sanft an, um ihn in Bewegung zu setzen. »Leg die Leiche auf die Ladefläche dieses Wagens, und laß uns hinaus zur Klippe fahren.«
WEIL BETH HAMILTON DARAUF BESTAND, fuhr Gunther. Er stellte fest, daß es ihm half, mit etwas beschäftigt zu sein. Er behielt die Hände am Steuer, während er aufmerksam nach vorn blickte, um die Abzweigung der Straße zum Mausoleum nicht zu verpassen. Seine Augen juckten und waren unmenschlich trocken.
»Es wurde ein Optionsschlag gegen uns durchgeführt«, sagte Beth Hamilton. »Sabotage. Wir fangen gerade erst an, die Bruchstücke zusammenzusetzen. Niemand wußte, daß ihr an der Oberfläche wart, sonst hätten wir jemanden zu dir hinausgeschickt. Das Ganze hier ist ein ziemlicher Trümmerhaufen.«
Er fuhr schweigend weiter, eingebettet in den Schutz des kilometerweiten Vakuums, das ihn umhüllte. Er spürte die Anwesenheit von Hiros Leiche hinten auf dem Lieferwagen als ständiges physisches Stechen zwischen den Schulterblättern. Doch solange er nicht sprach, war er in Sicherheit; er konnte sich von dem Universum fernhalten, das den Schmerz beherbergte. Er konnte ihn nicht berühren. Er wartete, doch Beth fügte dem, was sie geäußert hatte, nichts mehr hinzu.
Schließlich sagte er: »Sabotage?«
»Ein totales Software-Versagen in der Radiostation. Explosionen bei allen Schienenschleudern. Drei Kerle von Microspacecraft Applications traten als Käufer auf, als die Schienenschleuder von Boitsowij in die Luft flog. Ich nehme an, das war unvermeidlich. Bei all der Rüstungsindustrie hier oben ist es nicht verwunderlich, daß uns jemand aus dem Geschäft werfen wollte. Aber das ist nicht alles. Den Leuten von Bootstrap ist etwas zugestoßen. Etwas ganz Schreckliches. Ich war draußen im Observatorium, als es geschah. Die Leiterin der Nachrichtenabteilung rief an, um sich zu erkundigen, ob es noch eine Sicherheitskopie der Software gäbe, um die Station wieder in Betrieb zu nehmen, und sie bekam nur ein Kauderwelsch zur Antwort. Irres Zeug. Ich meine, wirklich irr. Wir mußten die Verbindung der Ferngesteuerten des Observatoriums kappen, weil die Techniker total ...«
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