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Eines Greifen Ei

Eines Greifen Ei

Titel: Eines Greifen Ei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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verlor er jedes Empfinden für Zusammenhänge. Das Dasein löste sich in Bruchstücke, in einzelne Bilder auf: ein weit nach vorn gebeugter Mann, der eine Gummiente lüstern an sich drückte; eine Frau, die hinter einem Monitor wie ein Springaufmännchen emporschnellte, kreischte und mit den Armen fuchtelte; eine alte Bekannte, die mit einem gebrochenen Bein am Boden lag und schrie. Als er versuchte, ihr zu helfen, kroch sie voller Angst von ihm weg. Er konnte sich ihr nicht nähern, ohne noch mehr Schaden anzurichten. »Bleib hier«, sagte er. »Ich hole Hilfe.« Fünf Minuten später mußte er erkennen, daß er sich verlaufen und nicht die geringste Ahnung hatte, wie er jemals wieder zu ihr zurückfinden könnte. Er gelangte zu der Treppe, die wieder zur untersten Ebene hinunterführte. Es sprach nichts dafür, sie hinabzusteigen. Es sprach nichts dagegen. Er ging hinunter.
    Er hatte gerade die unterste Stufe erreicht, als jemand in einem lavendelfarbenen Boutique-Anzug vorbeihuschte.
    Gunther schaltete mit dem Kinn die Sprechanlage ein.
    »Hallo!« Der lavendelfarbene Anzug drehte sich zu ihm um, mit einer Obsidianscheibe als Visier, kam jedoch nicht zurück. »Können Sie mir sagen, wohin alle verschwunden sind? Ich kenne mich überhaupt nicht mehr aus. Wie kann ich erfahren, was ich tun soll?« Der lavendelfarbene Anzug schlüpfte in einen Tunnel.
    Schwach antwortete eine Stimme: »Versuchen Sie es im Büro des Stadtmanagers.«

    DAS BÜRO DES STADTMANAGERS war ein schmales kleines Gemach etwa hundert Meter innerhalb eines verzweigten Labyrinths von Verwaltungs- und Dienstleistungstunnels. Es war für das allgemeine Gefüge niemals von großer Bedeutung gewesen. Die vordringlichen Aufgaben des Stadtmanagers bestanden darin, die Luft- und Wasservorräte immer wieder aufzufüllen sowie die planmäßige Inspektion der Luftschleusen durchzuführen, Funktionen also, die jeder Computer besser als ein Mensch hätte erfüllen können, wenn man gewagt hätte, sie einer Maschine anzuvertrauen. Der Raum war wahrscheinlich noch nie von so vielen Leuten bevölkert gewesen wie jetzt. Mehrere Dutzend Leute, angezogen für Vollvakuum-Bedingungen, drängten sich in die Halle und lauschten aufmerksam der Verhandlung zwischen Ekatarina und dem Krisenmanagement-Programm der Stadt. Gunther zwängte sich so dicht wie möglich ans Geschehen, dennoch konnte er sie kaum sehen.
    »... die Luftschleusen, die Farmen und öffentlichen Einrichtungen, und wir haben alle Ferngesteuerten eingesperrt. Was kommt als nächstes?«
    Ekatarinas PeCe hing an ihrer Arbeitsausrüstung und verstärkte die tonlose Stimme des KMP. »Nachdem jetzt die Kontrolle aller elementaren Lebensbereiche gewährleistet ist, muß die zweite Priorität dem industriellen Sektor gelten. Die Fabriken müssen geschlossen, die Reaktoren stillgelegt werden. Es gibt kein ausreichendes menschliches Überwachungssystem, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Fabriken haben auf Verlangen Einmottungs-Programme durchzuführen.
    Drittens dürfen die Farmen auf keinen Fall vernachlässigt werden. Fünfzehn Minuten ohne Sauerstoff, und alle Buntbarsche werden eingehen. Die Tintenfische sind sogar noch empfindlicher. Drei erfahrene Agrar-Komponenten müssen sofort mit der Wahrnehmung dieser Belange beauftragt werden. Diese Zahl ist zu verdoppeln, falls nur unerfahrene Komponenten zur Verfügung stehen. Unterstützende Software ist vorhanden. Haben Sie einen Fundus, aus dem Sie schöpfen können?«
    »Lassen Sie mich später darauf zurückkommen. Was sonst noch?«
    »Was ist mit den Leuten?« rief ein Mann angriffslustig dazwischen. »Warum, zum Teufel, machen Sie sich Sorgen um Fabriken, wenn unsere Leute in diesem Zustand sind?«
    Die Ismailowa blickte ihn streng an. »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie einer von Changs wissenschaftlichen Komponenten sind? Warum sind Sie hier? Haben Sie nicht genug zu tun?« Sie blickte sich um, als sei sie plötzlich aus dem Schlaf gerissen worden. »Sie alle? Worauf warten Sie?«
    »Sie können uns nicht so leicht davonjagen! Wer hat Sie zum kleinen messingbehangenen General ernannt? Wir brauchen von Ihnen keine Befehle entgegenzunehmen.«
    Die Umstehenden scharrten unbehaglich mit den Füßen, ohne Anstalten zum Weggehen zu machen, sondern darauf wartend, daß einer vom anderen das Stichwort bekäme. Ihre Anzüge wirkten in dieser Enge ziemlich einheitlich, und ihre Helme waren leer und ausdruckslos. Sie sahen aus wie eine Menge wandelnder

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