Eines Tages geht der Rabbi
nächsten Gottesdienst übernehmen könnte. Was meinen Sie, ob sich das machen ließe?»
Halperin lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Er legte den Kopf schief und peilte eine Ecke der Zimmerdecke an, während er sich den Anschein eifrigen Nachdenkens gab. Dann sagte er betont beiläufig: «Vielleicht könnte ich meinen Bruder dazu bewegen, die Stellung anzunehmen.»
«Richtig, Sie haben ja einen Bruder, der Rabbi ist. Was macht er jetzt? Hat er denn kein Amt?»
«Doch, aber er ist nicht besonders begeistert von seiner jetzigen Stellung und hat deshalb auch keinen festen Vertrag unterschrieben. Schon mal von Jezreal, Kansas, gehört? Eben, wer hat das schon … Ja, da sitzt er, und danach ist es auch.»
«Was ist denn los mit ihm?»
«Gar nichts. Meiner Ansicht nach ist er ein sehr guter Rabbi. Ich habe einen Videoclip, den er für eine Bewerbung gemacht hat. Wenn Sie wollen, können Sie ihn mal abspielen und sich selbst ein Urteil bilden. Und natürlich würde er zunächst auf Probe herkommen und müßte sich bewähren.»
«Ja, das Band würde ich gern mal sehen. Aber wie kommt es, daß er immer noch da sitzt, wenn er wirklich so gut ist?»
«Er hat Pech gehabt, anders kann ich es mir nicht erklären. Nach der Ausbildung wurde er Marinegeistlicher, hauptsächlich deshalb, weil seine Freundin, die er dann geheiratet hat, die Tochter eines Zahnarztes in der Marine war. Als dort der Vertrag auslief, ging er in die Studentenarbeit, weil keine vernünftige Stelle in der Gemeinde frei war. Und dann hat er diesen Job in Kansas genommen, weil er fand, daß es langsam Zeit wurde, sich um seine Karriere zu kümmern und die Stellung dort besser war als gar keine. Wegen der Erfahrung, wissen Sie. Und seither sitzt er dort fest.»
«Hm. Erfahrung in der Army, besonders zusammen mit Erfahrung in der Jugendarbeit, ist genau das, was wir hier brauchen. Aber wie steht es mit meinem kleinen Problem?»
«Ich würde ihm natürlich begreiflich machen, daß er da mitziehen muß. Er ist drei Jahre jünger als ich, und ich war immer so was wie ein Vorbild für ihn. Ich denke schon, daß ich ihn überreden kann. Wenn Sie wollen, rufe ich ihn heute abend gleich mal an.»
«Einverstanden. Aber erst hören Sie sich mal bei den anderen Vorstandsmitgliedern um.»
36
Morris Halperin war freundlich und entgegenkommend, aber ein bißchen verwundert. «Sie haben doch den Schuldigen geschnappt, und zwar sehr rasch. Ich verstehe deshalb nicht ganz–»
«Sie kennen doch diese jungen Leute vom District Attorney», sagte Lanigan. «Er will Ihre Aussage haben, weil Sie die Leiche gefunden haben. Will wissen, wieso Sie in der Glen Lane waren, was Sie gesehen und gemacht haben und so weiter und so fort. Ausgesprochen albern, aber er hat sich nun mal darauf versteift.»
«Na ja, wenn er noch neu in dem Geschäft ist, nimmt er’s natürlich mit den Vorschriften besonders genau. Also legen Sie los.»
Lanigan griff nach einem Block und schraubte seinen altmodischen Füller auf. «Fangen wir am besten ganz von vorn an. Das war – warten Sie – ja, das war der Abend der Magistratssitzung. An der haben Sie teilgenommen, nicht?»
«Ja. Sagen Sie mal, haben Sie keine Stenotypistin?»
«Im Augenblick nicht. Ich nehme es selber auf, dann lasse ich es tippen, und Sie können es noch einmal durchlesen und unterschreiben. Sind Sie bis zum Schluß geblieben?»
«Ja, aber ich bin gleich danach gegangen.»
«Das war so gegen zehn?»
«Ja, so etwa. Vielleicht ein bißchen später.»
«Sie sind nicht mit den anderen im Ship’s Galley gewesen?»
«Nein, ich hatte ziemlich starken Schnupfen und wollte mich hinlegen. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.»
«Und dann–»
«Aber es gibt da eine ganz bestimmte Sorte von Tabletten, die mir bei Schnupfen immer geholfen haben, und die waren mir ausgegangen. Die letzten beiden hatte ich genommen, ehe ich zur Sitzung gefahren war. Ich hatte mir noch neue kaufen wollen, hatte es dann aber vergessen. Und als die Sitzung aus war, hatte natürlich der Drugstore schon zu. Deshalb wollte ich noch nach Lynn, da gibt es einen Drugstore, der bis Mitternacht geöffnet ist.»
«Moment, Morris. ‹… bis Mitternacht geöffnet ist.› Geht’s ein bißchen langsamer?»
«Ich fuhr also hin, kaufte die Tabletten und nahm gleich zwei», fuhr Halperin langsamer fort, damit Lanigan mitkam. «Dann fuhr ich über die High Street in Richtung Heimat.»
«Wie fühlten Sie sich?»
«Bestens. Die
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