Eines Tages geht der Rabbi
gleichberechtigt. Es ist gewissermaßen ein Gleichgewicht der Kräfte. Der Kongreß kann einem Kabinettsmitglied keine Vorschriften machen, das darf nur der Präsident. Und ebensowenig kann der Präsident zum Kongreß sagen, der oder jener Senator gefällt mir nicht, schmeißt ihn raus. Das fällt in die Zuständigkeit des Senats. Wir sind der Vorstand der Synagoge, und der Rabbi ist ein Außenstehender, der von uns angestellt wird. Da kann er nicht hergehen und einem von uns sagen, er soll zurücktreten. Ebensowenig, wie wir uns das von Stanley, dem Hausmeister, sagen lassen würden, verstehst du?»
«Ja, aber was sollen wir denn machen?»
«Wie viele Präsidenten haben wir schon gehabt, Morris? Gut und gern ein halbes Dutzend. Wo steht geschrieben, daß wir immer denselben Rabbi haben müssen? Ab und zu wechseln wir die Präsidenten. Vielleicht wird’s da Zeit, auch mal den Rabbi zu wechseln.»
«Mit dieser Ansicht stehst du nicht allein da.» Morris lachte leise. «Meyer Andelman meinte, ich sollte mich doch mal bei meinem Bruder erkundigen – er ist Rabbi –, ob er vielleicht Interesse hat.»
«Du, das ist eine Idee. Meinst du, er würde anbeißen?»
«Ich weiß nicht recht …»
«Warum fragst du ihn nicht, Morris? Kostet dich doch nur einen Anruf.»
«Kann man ja mal machen.»
Charlie Tanner war noch nie ein Freund von Rabbi Small gewesen. «War nie meine Kragenweite, der Mann. Ich stehe sowieso nicht auf Rabbis, aber mit dem kann ich einfach nicht. Und das geht nicht nur mir so. Viele können ihn nicht leiden. Zeig mir einen im Vorstand, mit dem er richtig befreundet ist, der hinter ihm steht und ihn unterstützt. Da gibt’s keinen weit und breit. Und weißt du warum? Weil er so überheblich tut. Mein alter Herr hat erzählt, daß früher in der Gemeinde der Rabbi ein hohes Tier war. Er war der einzige Gebildete, und deshalb haben sie alle große Stücke auf ihn gehalten. Und Rabbi Small tut, als ob wir noch im 19. Jahrhundert wären und er der einzige ist, der von irgendwas ’ne Ahnung hat. Aber heutzutage gibt’s in der Gemeinde haufenweise Ärzte, Anwälte, Steuerberater und Ingenieure. Und die meisten Geschäftsleute waren auf dem College. Was bildet er sich eigentlich ein? Setzt sich aufs hohe Roß, denkt, er kann uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Das stinkt mir, sag ich dir. Verknöchert ist er, ein Anachronismus, jawohl. Chester Kaplan sagt, daß er alles über den Talmud weiß. Und was steht im Talmud? Wie sie es früher mit den Gesetzen gehalten haben. Aber wir leben nun mal nicht mehr in biblischen Zeiten, wir leben in den Staaten und im zwanzigsten Jahrhundert, bald schon im einundzwanzigsten. Was sollen wir mit dem alten Schmonzes? Wir brauchen einen modernen Mann, der begreift, was heute Sache ist, und der uns für die heutigen Probleme geistigen Beistand geben kann.»
«Du hättest also nichts gegen einen Wechsel?»
«Hab ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Ich tausch fast jeden, meinetwegen sogar einen jungen Spund, frisch aus dem Seminar, gegen Rabbi Small ein.»
«Darüber scheinen sich praktisch alle einig zu sein.»
«Und was machen wir jetzt? Fordern wir ihn zum Rücktritt auf?»
«Nein. Dazu müßten wir einen Grund angeben, vielleicht Anschuldigungen erheben. Dann könnte er sich an die Gemeinde wenden, und da gibt es vielleicht Zores. Wir denken uns das so, daß wir ihm sagen, daß sein Vertrag nicht verlängert wird. Ohne Angabe von Gründen. Und wenn er fragt, sagen wir einfach, daß wir mal wechseln wollen. Und er hat Zeit bis zum Ablauf seines Vertrages, sich nach einer anderen Stellung umzusehen. Wir würden so schnell wie möglich Ersatz beschaffen.»
«Du meinst, solange er noch da ist?»
«Warum nicht? Sieh mal, angenommen, wir teilen ihm mit, daß sein Vertrag nicht verlängert wird, und er bleibt, bis wir einen Ersatzmann haben, was würde uns das nützen? Er würde bei jeder sich bietenden Gelegenheit stänkern. Nehmen wir mal, Gott behüte, an, es gibt eine Beerdigung. Da sagt er einfach, er hat keine Zeit. Oder eine Bar Mitzwa oder eine Hochzeit. Stell dir mal vor, es ist eine Hochzeit, und der Rabbi erscheint nicht, und das Brautpaar und die Familie und Freunde und Bekannte stehen da wie bestellt und nicht abgeholt. Und das könnte er machen, ihn trifft’s ja nicht, weil er sein Honorar an die Gemeinde abliefert. Aber wenn wir einen Rabbi in Reserve haben, der einspringt, sobald wir Small mitteilen, daß er abgemeldet ist,
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