Einfach Freunde
Fisch.«
»Meinetwegen auch wie ein Fisch, wenn es Sie glücklich macht.«
27
So fahre ich also den Pozzo im Jaguar ins Krankenhaus, wo sich seine Frau Béatrice einer KnochenmarktransÂplantation unterzogen hat. Die Operation ist ihre letzte Chance: Die Ãrzte gaben ihr nur noch vier bis sechs Monate zu leben. Operation und Narkose sind gut verlaufen, aber es ist noch nicht ausgestanden. Sie hat keine Abwehrkräfte. Sie muss auf einer Isolierstation bleiben, hinter einem sterilen Zelt.
Wochenlang trage ich den Pozzo jeden Morgen in den Jaguar und bringe ihn zu ihr. Zu ihr ⦠soweit das möglich ist mit dieser Kunststoffwand. Eine Haube auf dem Kopf, PlastikfüÃlinge über die edlen Westons gezogen, rollt er bis an die Grenze, die nicht überschritten werden darf. Stundenlang betrachtet er seine Frau, die in ihrem Bett liegt und manchmal ein wenig phantasiert. Am Abend verlassen wir sie in der Angst, sie am nächsten Morgen nicht mehr lebend anzutreffen. Und tatsächlich fällen die Ãrzte ihr Urteil.
Madame Pozzo wird sterben.
Auf der Rückfahrt schweige ich.
Keine Hilfspflegerinnen mehr. Keine Krankenschwestern. Von da an war ich das letzte Gesicht, das Philippe Pozzo di Borgo abends sah, und mein Blick war der erste, dem er morgens begegnete. Seit ich ihn trug, brauchten wir fast niemand anderen mehr. Jetzt, wo seine Frau tot war, schlief er allein. Er hatte ihr beim Sterben zugesehen, ungläubig, voller Wut. Er hat sie immer nur als Kranke gekannt und sie trotz der Krankheit, trotz des beschwerlichen Alltags geliebt, schon damals, als es ihm noch gutging, als er jedes Wochenende auf dem Land joggte, als er über den Bergen schwebte. Dann, am 23 . Juni 1993 , kam dieser fatale Gleitschirmunfall, und zwei Jahre lang besserte sich ihre Krankheit. Alle dachten an eine Heilung, die Medikamente täten endlich ihre Wirkung, sie werde noch lange leben, warum auch nicht? Sie hatte die Kraft gefunden, das Leben der gesamten Familie neu zu regeln und auf die Behinderung ihres Mannes einzustellen. Sie verlieÃen ihr Haus in der Champagne und zogen nach Paris in die Nähe der Krankenhäuser. Sie hatten sich ein bequemes Umfeld geschaffen â was mit Geld natürlich leichter ist â, und die Kinder schienen mit ihrer neuen Existenz in der Hauptstadt einigermaÃen zurechtzukommen, mit einem Vater im Rollstuhl und einer kranken Mutter ⦠Und als alles arrangiert war, als sie fast ein normales Leben hätten führen können, erlitt Béatrice Pozzo einen Rückfall.
Ich lebte seit ungefähr einem Jahr bei ihnen, als es passierte. Madame Pozzo war nicht zu Rate gezogen worden bei der Wahl des Intensivpflegers, die keine war. Sie hatte auch kein Veto eingelegt, als sie diesen jungen, schlecht Âerzogenen und unberechenbaren Araber bei sich aufkreuzen sah. Sie sah ihn sich unvoreingenommen an und akzeptierte ihn auf der Stelle. Sie lachte über meine SpäÃe, ohne sich daran zu beteiligen, mit einer gewissen Distanz, aber immer wohlwollend. Ich weiÃ, dass sie manchmal ein bisschen Angst hatte, wenn ich mir ohne Vorwarnung ihren Mann schnappte und ihn entführte, ohne zu sagen, wohin es ging. Ich weiÃ, dass sie über den Kauf einer Luxuskarosse nicht begeistert war. Ihre protestantische Seite: Sie mochte den demonstrativ zur Schau getragenen Reichtum nicht. Sie war eine bescheidene Frau, ich respektierte sie. Ich verurteilte sie nicht dafür, dass sie eine Bourgeoise war, und das zum ersten Mal in meinem Leben.
Was wir ein ganzes Jahr lang gemacht haben, der Pozzo und ich? Bekanntschaft geschlossen. Er hat versucht, sich nach meinen Eltern zu erkundigen, ich glaube sogar, er wollte sie kennenlernen. Ich wich aus.
»WeiÃt du, Abdel, es ist wichtig, mit seiner Familie im Frieden zu sein. Kennst du Algerien, dein Heimatland?«
»Mein Land ist hier, und ich bin im Frieden mit mir selbst.«
»Da bin ich mir nicht so sicher, Abdel.«
»Schon gut.«
»Schon gut, Abdel. Reden wir nicht mehr darüber â¦Â«
Der Viehtransporter war nicht das Richtige für Rodeos auf der Ringautobahn, da eignete sich der Jaguar besser. Ich war es, der aufs Gaspedal drückte, aber die Grenzen haben wir gemeinsam überschritten. Ein Wort hätte genügt, und ich wäre auf die Bremse getreten. Der Pozzo hatte seine Frau sterben sehen, hatte keinen Schmerz gezeigt, er sah, wie sich der Film seines Lebens
Weitere Kostenlose Bücher