Einfach Freunde
ohne ihn abspielte, er war Zuschauer. Ich drückte auf die Tube. Er drehte leicht den Kopf zu mir, der Motor röhrte, ich lachte laut auf, so laut ich konnte, und er drehte den Kopf auf die andere Seite. Er lieà es geschehen. Wir düsten gemeinsam los. Wir gehörten nun mal zusammen, in guten wie in schlechten Zeiten.
Ein Jahr, das war genug, um uns klarzumachen, dass ich bleiben würde, ohne dass es ausgesprochen wurde. Hätte ich gehen müssen, wäre es früher geschehen. Und ich hätte nicht ein paar Wochen vor der Transplantation die Reise nach Martinique zugesagt.
»Das werden für Béatrice die letzten Ferien sein für lange Zeit, gehen wir alle drei!«, sagte der Pozzo zu mir, um mich zu überzeugen.
Ich war noch nie über Marseille hinausgekommen, es brauchte keine groÃen Ãberzeugungskünste. Es wurden ihre letzten Ferien überhaupt ⦠Wir kannten die Gefahren der Knochenmarktransplantation für Béatrice. Und dann war es ihr Mann, der auf Martinique krank wurde. Lungenverschleimung. Um die Sache einfach zu erklären: In den Bronchien hatten sich Sekrete angesammelt, das Atmen fiel ihm entsetzlich schwer. Er wurde auf die Intensivstation gebracht und blieb dort bis zum Ende der Ferien. Ich aà gemeinsam mit Béatrice am Strand. Wir sprachen nicht viel, das war nicht nötig, und es gab auch keine Verlegenheit zwischen uns. Ich war nicht der Mann, den sie liebte. Ich war nicht der Mann, den sie gerne vor sich gehabt hätte, mit zwei beweglichen Armen, von denen der eine seine Gabel zum Mund führen würde und der andere bereit wäre, über den Tisch zu greifen und ihre Hand zu streicheln. Dieser Mann existierte sowieso nicht mehr, sie musste auf ihn verzichten seit dem Gleitschirmunfall, warum sollte sie sich also nicht mit diesem etwas schwerfälligen, schlecht erzogenen, wenn auch nicht gerade gefährlichen jungen Typen zufriedengeben.
Mir gefällt die Vorstellung, dass sie mir zutraute, mich sogar in den bevorstehenden schweren Zeiten gut um ihren Mann zu kümmern. Mir gefällt die Vorstellung, dass sie mir vertraute. Aber vielleicht ging ihr gar nichts von alldem durch den Kopf. Vielleicht lieà auch sie es einfach geschehen. Wenn man nichts mehr im Griff hat, ist das wahrscheinlich das Einzige, was man tun kann, oder? Loslassen, wenn man mit zweihundert über die StraÃen am Ufer der Seine braust oder wenn man an einem paradiesischen Ort vor dem türkisblauen Meer bequem auf seinem Stuhl in der Sonne sitzt.
Ich dachte, er werde den Tod seiner Frau nicht überleben. Wochenlang wollte er sein Bett nicht mehr verlassen. Seine Familienangehörigen besuchten ihn, er schenkte ihnen kaum einen Blick. Céline kümmerte sich um die Kinder, fürsorglich und pragmatisch zugleich, sie hielt sie auf Distanz, dachte, sie hätten schon genug an ihrem eigenen Kummer. Und ich kreiste wie ein Satellit ununterbrochen um den Pozzo herum. Aber er lieà sich nicht mehr von mir ablenken. Würdig selbst in der Depression, legte er nur noch Wert darauf, einigermaÃen vorzeigbar zu den medizinischen Terminen zu erscheinen. Ein paar Monate hatten wir auf die Hilfspfleger und Krankenschwestern verzichtet, weil er willensstark war, weil es ihm eine diebische Freude bereitete, zu zeigen, dass er einzig mit den Armen und Beinen von Abdel wunderbar zurechtkam. Wir mussten wieder nach ihnen rufen, und sie sind sofort gekommen, kompetent und ergeben. Monsieur Pozzo ertrug es schlecht, dass sich so viele Leute um seinen dreiviertel toten Körper sorgten, während man nichts für den seiner Frau hatte tun können.
Zum Glück war ich jung und ungeduldig. Zum Glück habe ich rein gar nichts verstanden. Ich sagte stopp.
IV
LERNEN, ANDERS ZU LEBEN
28
»Monsieur Pozzo, nun ist gut, jetzt wird aufgestanden!«
»Ich möchte meine Ruhe haben, Abdel, bitte lass mich.«
»Sie haben lange genug Ihre Ruhe gehabt. Jetzt reichtâs. Obâs Ihnen gefällt oder nicht, ändert gar nichts. Wir ziehen uns jetzt an und gehen raus ⦠AuÃerdem weià ich, dass es Ihnen gefallen wird.«
»Wie du willst â¦Â«
Der Pozzo seufzt. Der Pozzo dreht den Kopf, er sucht nach Leere, nach einem Raum ohne zappelnde Hände, ohne Blicke. Plappernde Münder schaltet er auf stumm.
Ich will ihn nicht mehr »den Pozzo« nennen. Er ist kein Ding, kein Tier, kein Spielzeug, keine Puppe. Der Mann
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