Einfach Freunde
telefonische Warteschleife beim Arbeitsamt. Auf dem Pont Saint-Cloud rücken zwei Motorradpolizisten auf. Ich sehe sie im Rückspiegel, werfe einen Blick auf den Tacho: nur 127 Kilometer die Stunde ⦠Monsieur Pozzo ist gut drauf heute, ich könnte einen Versuch wagen.
»Da sind zwei Bullen, die werden uns gleich anhalten.«
»Ach ⦠Abdel! Wir werden uns verspäten.«
»Nicht unbedingt, Monsieur Pozzo. Setzen Sie doch mal Ihre Leidensmiene auf!«
Die Polizisten nähern sich bedrohlich.
»Was meinst du damit?«
Ich ziehe eine Grimasse, und er lacht laut auf.
»Aber nein, Monsieur Pozzo, nicht lachen, jetzt muss gelitten werden. Los, ich zähl auf Sie.«
»Abdel, nein, wirklich! Abdel!«
Ich drossle deutlich ab, setze den Blinker, fahre an den StraÃenrand und lasse die Scheibe runter.
»Abdel!«
»Drei, zwei, eins ⦠Leiden Sie!«
Ich schaue ihn nicht an, ich habe Angst loszuprusten. Ich beuge mich zum Bullen, der sich vorsichtig nähert. Ich spiele den braven Kerl in Panik.
»Er hat einen Anfall! Das ist mein Chef! Er ist Tetraplegiker. Es ist sein Blutdruck, ich bringe ihn nach Garches, wir können nicht warten, sonst geht er drauf!«
»Machen Sie den Motor aus, Monsieur.«
Ich gehorche widerwillig, schlage mit der Faust aufs Lenkrad.
»Wir haben keine Zeit, sag ich!«
Der zweite Polizist ist mittlerweile auch näher gekommen, geht misstrauisch um den Wagen herum. Er richtet sich an meinen Beifahrer.
»Monsieur, lassen Sie bitte die Scheibe herunter. Monsieur, Monsieur!«
»Wie soll er denn die Scheibe herunterlassen? Wissen Sie, was das ist, ein Tetraplegiker? Ein Te-tra-ple-gi-ker!«
»Ist er gelähmt?«
»Na bravo, die habenâs kapiert!«
Sie schauen mich beide an, genervt, überfordert und beleidigt, alles auf einmal. Ich riskiere einen Blick auf Monsieur Pozzo. Er ist groÃartig. Er lässt den Kopf auf die Schulter fallen, drückt die Stirn an die Türscheibe, verdreht die Augen und obendrein röche-che-chelt er ⦠Das ist nicht seine Leidensmiene, aber ich bin der Einzige, der das weiÃ.
»Hören Sie«, fragt der erste nervös, »wohin sollâs den gehen in diesem Tempo?«
»Nach Garches, ins Raymond-Poincaré-Krankenhaus, das sagte ich Ihnen doch. Und es eilt!«
»Ich rufe sofort eine Ambulanz.«
»Das tun Sie nicht, das dauert viel zu lange, so lange hält er nicht durch! Wissen Sie, was wir machen? Kennen Sie den Weg nach Garches? Ja? Sehr gut! Dann fahren Sie vor, und Ihr Kollege da, der folgt. Los, schnell!«
Ich starte den Motor und drücke aufs Gaspedal, um meine Entschlossenheit zu betonen. Nach einer Sekunde Zögern â der Polizist an sich zögert öfter, als man denkt â setzen die Jungs ihre Helme auf und reihen sich brav ein. Wir brausen los Richtung Krankenhaus, allerdings etwas langsamer als vorhin, weil die Polizisten mit der einen Hand den Lenker halten und mit der andern die Autofahrer auffordern müssen, Platz zu machen. Monsieur Pozzo hebt vorsichtig den Kopf und fragt:
»Und wenn wir da sind, Abdel, was dann?«
»Tja, dann tun wir genau das, was wir vorgehabt haben! Sollten Sie nicht einen Vortrag vor Behinderten halten?«
»Doch, doch â¦Â«
Auf dem Parkplatz des Krankenhauses ziehe ich schnell Monsieur Pozzos zusammenklappbaren Rollstuhl aus dem Kofferraum, öffne die Beifahrertür, setze den nächsten Oscar-Preisträger in den Rollstuhl und schlage gnadenlos die Hilfe des Motorradpolizisten aus:
»Ach, bloà nicht, junger Mann: Dieser Herr hier ist zerbrechlich wie ein Ei!«
»Raaa â¦Â«, macht der Sterbende.
Im Laufschritt schiebe ich ihn zum Eingang der Notaufnahme, während ich den Polizisten zurufe:
»Schon gut, Sie können gehen! Wenn er überlebt, werde ich Sie auch nicht verklagen!«
Wir warten, bis sie verschwunden sind, und verlassen das Gebäude wieder: Der Vortrag soll woanders stattfinden. Der Boss lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat.
»Na, wer ist der Beste?«
»Der bist du, Abel, du allein!«
»Im Gegensatz zu Ihnen, das soll ein Anfall gewesen sein, also wirklich! Was war denn das für eine Grimasse?«
»Abdel, hast du schon mal La Traviata gesehen?«
»Nein, hab ich nicht. Aber dank Ihnen kenn ich die Geschichte, vielen Dank.«
»Am Schluss gab ich die
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