Einfach losfahren
nicht so viel bei sich, deshalb streckte ich sie ihm vor.
Danach nahm ich die Quittung entgegen, weil der Goldschmied mich auf dem Handy anrufen wollte, sobald die Kette fertig war. Federico hatte ja kein Telefon.
Wir drehten noch eine Runde und fuhren dann zu mir.
»Ich habe Lust, all das zu tun, was ich in Boa Vista nicht tun kann. Ins Kino gehen, durch die Geschäftsstraßen bummeln, alberne nutzlose Sachen kaufen. Rolltreppen rauf- und runterfahren.«
Wir waren viel zusammen in jenen Tagen, und es wurde mir bewusst, dass er sich in vielem verändert hatte. Aber wir verstanden uns immer noch gut, und das machte mich froh.
Sie blieben noch eine Weile vorm Haus im Auto sitzen
Da trafen wir uns also zum Abendessen. Federico, Francesca und ich.
Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch. Ich hatte Küchendienst. Federico mixte uns Caipiroschkas. Das heißt, er mixte eine gigantische Caipiroschka in der mit Eis gefüllten Salatschüssel, die von da an bei uns nur noch »Paradieseimerchen« hieß. Während ich schlichten Basmatireis und ein Backhähnchen mit Kartoffeln zubereitete, unterhielten sich Federico und Francesca nebenan. Ich bekam nicht alles mit, ich erinnere mich aber, dass sie viel lachten. Ich hatte Francesca oft von Federico erzählt, und sie hatte ihn schon immer kennenlernen wollen. Mit Federicos Ankunft hatten wir unsere Krise, die nun schon eine Weile anhielt, beiseitegeschoben.
»Michele hat mir erzählt, dass du ihm eines Abends eine Ansprache gehalten und kurz darauf dein ganzes Leben umgekrempelt hast und fortgegangen bist, auf Reisen. Michele spricht oft von dir. Wie war das, das eigene Leben so radikal zu ändern, wo hast du die Kraft dafür gefunden? Das war doch bestimmt nicht leicht, oder? Ich habe auch schon öfter darüber nachgedacht, weißt du.«
»Am Anfang war es wirklich nicht leicht. Einfach losfahren, alles und alle zurücklassen, ohne zu wissen, wohin mich das führen würde. Aber nach einer Weile habe ich eine Menge Dinge entdeckt, die mir dabei halfen, die Unsicherheit auszuhalten. Mit der Zeit veränderte ich mich und hatte immer weniger Probleme damit. Jetzt, wo ich es durchgezogen habe, weiß ich, dass jeder dazu in der Lage ist. Da man das aber eben erst hinterher weiß, hat man davor mehr Angst als nötig. Im Grunde ist es so, dass die Vorstellung mehr Angst macht als die Umsetzung.«
»Wieso hast du diesen Entschluss überhaupt gefasst?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich mein Leben satthatte und dass ich es nutzlos fand, leer und eintönig. Vielleicht schaffte ich es auch einfach nicht mehr, mich abzulenken. Plötzlich faszinierte mich die Vorstellung, im Ungewissen zu leben. Im Nachhinein kann ich sagen, es war das Intelligenteste, was ich je im Leben getan habe. Ich bin fort, um meine andere Hälfte zu finden.«
»Und, hast du sie gefunden?«
»Zum Teil. Aber weniger ein neues Ich, eher eine neue Art zu leben.«
»Dann bist du jetzt glücklich?«
»Nicht schon wieder… seid ihr Glücksritter, oder was? In vierundzwanzig Stunden zweimal die gleiche Frage! Michele wollte das nämlich auch schon von mir wissen. Sagen wir, wenn ich heute sterben würde, dann hätte ich ein glückliches Leben gehabt. Vor allem, wenn ich jetzt noch eine Caipiroschka kriege.«
»Glaubst du nicht, dass das Schicksal irgendwo schon geschrieben steht, Federico?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht fordert man das Schicksal ja schon durch einen irren Entschluss heraus, durch Liebe, eine mutige Tat oder einfach eine poetische Geste. Ich wollte damals eigentlich nur wissen, ob ich schöner werden konnte. Hm, anscheinend leider nicht, aber es hat genügt, um mir die Kraft zum Aufbruch zu geben. Sophie sagt, Schönheit sei nichts anderes als das Versprechen, das jeder von uns in sich trägt: er selbst zu sein.«
Das Gespräch wurde durch eine kulinarische Intervention meinerseits unterbrochen: Einer musste das Huhn probieren. Damals wusste ich einfach nie, wann es gar war, dabei ist das gar nicht so schwer. Sie probierten beide. Francesca meinte, es sei noch nicht durch, eher noch ein bisschen roh, und Federico ergänzte, ein guter Tierarzt könne es wohl wieder zum Leben erwecken. Also zurück damit in den Backofen… »Aber im Reiskochen bin ich ein Ass, ihr werdet sehen.«
»Hat das Thunfischsandwich mal von sich hören lassen?«, rief Fede.
Das mit dem Thunfischsandwich war ein alter Running Gag zwischen uns. Wir waren mal im Auto ans Meer gefahren und hatten in der
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