Einfach losfahren
ihr nun die Gelegenheit bot, sich zu ändern, sich zu befreien, nicht länger auf das Leben zu verzichten, sondern sich aufzulehnen, um ein für alle Mal zu den Gewinnern zu gehören, hatte der Vater sich prompt geweigert, ihr zu helfen, und die Schuld dafür der Mutter zugeschoben.
Es dauerte noch einige Tage, bis sie es vollständig verstanden hatte. Es war wie eine plötzliche Eingebung, die ihr half, all das zu begreifen, was da zu verstehen war. Doch bevor sie zu dieser Erkenntnis gelangte, versuchte Francesca erst mal, einen Schritt zurück zu machen, wieder Opfer zu werden. Auf ihren Posten zurückzukehren. Zu ihrer Rolle. Weinend gestand sie mir, sie komme sich dumm vor, etwas noch einmal zu versuchen, was sie schon vor Jahren abgehakt hatte. Sie komme sich lächerlich vor und wisse nicht, wie sie sich zu einer solchen Torheit habe hinreißen lassen können.
»Du schwingst hier schöne Reden, aber die Wirklichkeit sieht anders aus«, sagte sie in einem Ton, als ob sie sauer auf mich wäre oder als wäre all das irgendwie meine Schuld. Henker und Opfer, da war es wieder. »Meine Mutter hat recht, besser ich schlage mir diese komischen Dinge aus dem Kopf und werde endlich vernünftig. Ich meine, ich arbeite ja doch auch ganz gern in der Bar.«
Die Geschichte von Francesca und ihrer Mutter erinnert ein wenig an das Märchen von Schneewittchen. Francescas um drei Jahre ältere Schwester war zwar immer gut in der Schule gewesen, und jetzt war sie verheiratet, hatte drei Kinder und schmiss den Haushalt. Aber Francesca war trotzdem der Liebling des Vaters geblieben. Ihre Schwester hingegen stand unter völliger Kontrolle der Mutter. Sie brauchte für alles die Zustimmung der Königin und hatte denn auch sämtliche Projekte und Ideale der Mutter übernommen und perfekt ausgeführt.
Ihre Mutter war eine schöne, starke Frau, und solange Francesca Kind war, war sie die Königin im Haus, denn die ältere Schwester hatte das Herz des Königs nicht erobern können. Doch als Francesca erwachsen wurde, hatte der Spiegel der Mutter offenbart, wer nun die Schönste im ganzen Land war. Die Favoritin.
Die Bar – und der Verzicht – war der rote Apfel, und Francesca hörte noch immer auf den Rat der Mutter und biss immer und immer wieder hinein.
»Schau, wie schön rot er ist, saftig und süß…«
Da wir gerade bei Märchen und Zeichentrickfilmen sind: Der Beziehung zwischen Francesca und ihrer Mutter lag noch ein anderes Problem zugrunde, nämlich das Lady-Oscar-Syndrom. Nach der ersten Tochter hatte die Mutter, die sich immer einen Jungen gewünscht hatte, sofort ein zweites Kind gewollt, und als dann aber ein Mädchen kam, war dieser Plan durchkreuzt.
Nicht umsonst hat Francesca ihre Tage erst sehr spät bekommen, denn sie hat ihre Weiblichkeit stets negiert. Das Kind sollte nach dem Großvater benannt werden, und weil es unbedingt als Mädchen geboren werden wollte, passte man den Namen halt dem Geschlecht des Kindes an.
Ich war in diesen Tagen immer bei ihr und habe sie darin bestärkt, nicht noch einmal zu verzichten.
Man ändert seine Meinung nicht, wenn dieses Gefühl nicht schon in einem drin existiert, da können andere sagen, was sie wollen. Zweifel und Ängste, die einem andere einflößen, fallen nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn dieser Boden bereitet ist. Andernfalls ist das unmöglich.
Ich musste daher nur die Zweifel auf dem Grund ihrer Persönlichkeit beseitigen, und die Worte der Mutter, des Vaters oder wessen auch immer würden nichts bewirken können.
Eines Abends sagte sie zu mir: »Diesmal gebe ich nicht so leicht auf.«
Und wirklich, wie bei allen Menschen, die beschließen, ihre Träume anzugehen, war auch sie bereit, Hilfe anzunehmen, sobald die ersten Schwierigkeiten überwunden waren. Der Mutige schmiedet sich selbst sein Glück.
Ein paar Tage nach der Auseinandersetzung, den Tränen, dem Zusammenbruch bekam Francesca mit, wie zwei Gäste der Bar sich über eine Buchhandlung in der Via Vercelli unterhielten. Der Buchhändler wollte sich nun zur Ruhe setzen, und da er kinderlos war, hatte er beschlossen, den Laden aufzugeben. Francesca ging auf, dass es sich um die Buchhandlung handelte, die sie bei ihrer Arbeitssuche ausgelassen hatte, weil sie zu duster war und irgendwie verstaubt wirkte, alt und hoffnungslos. Trotz der Misserfolge der vorangegangenen Tage eilte sie noch am selben Nachmittag in die Via Vercelli. Immer wieder ging sie hin, auch an den folgenden Tagen, und
Weitere Kostenlose Bücher