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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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sagte Father Brown.
    Das Gesicht des Herzogs blieb unbewegt; aber er blickte den Bittsteller mit einem so glasigen Starren an, daß es mir als der furchtbarste Ausdruck erschien, den ich je auf einem menschlichen Gesicht gesehen habe. Ich konnte die mächtigen Beine des Bibliothekars unter ihm beben sehen wie die Schatten von Stämmen in einem Teich; und ich konnte aus meinem Hirn die Vorstellung nicht vertreiben, daß sich die Bäume um uns herum in dem Schweigen still mit Teufeln statt mit Vögeln füllten.
    ›Ich will Sie verschonen‹, sagte der Herzog mit der Stimme unmenschlichen Erbarmens. ›Ich lehne ab. Gäbe ich Ihnen auch nur den leisesten Hinweis auf die Last des Schreckens, die ich allein zu tragen habe, würden Sie kreischend hier vor meinen Füßen liegen und darum betteln, Ihnen mehr zu ersparen. Ich will Ihnen den Hinweis ersparen. Sie sollen nicht einmal den ersten Buchstaben dessen buchstabieren, was auf dem Altar des Unbekannten Gottes geschrieben steht.‹
    ›Ich kenne den Unbekannten Gott‹, sagte der kleine Priester mit der unbewußten Größe der Gewißheit, die wie ein Granitturm aufragt. ›Ich weiß seinen Namen; er ist Satan. Der wahre Gott wurde Fleisch und weilte unter uns. Ich aber sage Ihnen, wo immer Sie Menschen finden, die ausschließlich von einem Geheimnis beherrscht werden, ist es das Geheimnis der Sünde. Wenn der Teufel einem sagt, irgend etwas sei zu furchtbar, um es anzublicken, blicke man es an. Wenn er sagt, irgend etwas sei zu schrecklich, um es anzuhören, höre man es an. Wenn man irgendeine Wahrheit für unerträglich hält, trage man sie. Ich flehe Euer Gnaden an, diesem Albtraum jetzt und hier an diesem Tisch ein Ende zu bereiten.‹
    ›Wenn ich das täte‹, sagte der Herzog mit leiser Stimme, ›würden Sie und Ihr ganzer Glaube und alles, aus dem heraus allein Sie leben, zusammenschrumpfen und untergehen. Sie würden für einen Augenblick das große Nichts erkennen, ehe Sie stürben.‹
    ›Das Kreuz Christi sei zwischen mir und allem Übel‹, sagte Father Brown. ›Nehmen Sie die Perücke ab.‹
    Ich lehnte mich in unbeherrschbarer Erregung über den Tisch; während ich diesem außerordentlichen Zweikampf zuhörte, war mir eine halbe Idee in den Kopf geschossen. ›Euer Gnaden‹, schrie ich, ›Sie bluffen. Nehmen Sie die Perücke ab, oder ich schlage sie Ihnen herunter.‹
    Ich kann vermutlich wegen tätlicher Beleidigung verklagt werden, aber ich bin froh, daß ich es tat. Als er mit der gleichen steinernen Stimme sagte: ›Ich lehne ab‹, sprang ich ihn einfach an. Für drei lange Augenblicke widerstand er mir, als hülfe ihm die ganze Hölle; aber ich zwang seinen Kopf immer tiefer zurück, bis die haarige Mütze herabfiel. Ich gestehe, daß ich noch während des Ringens die Augen schloß, als sie herabfiel.
    Ein Aufschrei von Mull, der sich inzwischen an der Seite des Herzogs befand, brachte mich wieder zu mir. Sein Kopf beugte sich wie der meine über den kahlen Kopf des perückenlosen Herzogs. Dann zerriß das Schweigen, als der Bibliothekar ausrief: ›Was bedeutet das? Der Mann hat ja gar nichts zu verbergen. Seine Ohren sind so normal wie die aller anderen.‹
    ›Ja‹, sagte Father Brown, ›und das ist es, was er zu verbergen hatte.‹
    Der Priester trat zu ihm hin, blickte aber sonderbarerweise überhaupt nicht auf seine Ohren. Er starrte ihm vielmehr mit einer fast komischen Ernsthaftigkeit auf die Stirn und wies dann auf eine dreieckige Narbe, seit langem verheilt, aber immer noch erkennbar. ›Mr. Green, nehme ich an‹, sagte er höflich, ›und also hat er schließlich doch den ganzen Besitz bekommen.‹
    Und nun möchte ich den Lesern des ›Daily Reformer‹ berichten, was ich für das Bemerkenswerteste an der ganzen Angelegenheit halte. Diese Verwandlungsszene, die Ihnen so wild und bunt erscheinen wird wie ein persisches Märchen, war (abgesehen von meinem Überfall) von Anfang an vollkommen gesetzlich und verfassungsmäßig. Dieser Mann mit der sonderbaren Narbe und den normalen Ohren ist kein Betrüger. Obwohl er (in gewissem Sinne) eines anderen Mannes Perücke trägt und eines anderen Mannes Ohren zu haben vorgibt, hat er doch den Adelstitel eines anderen Mannes nicht gestohlen. Er ist wirklich der einzige wahre Herzog von Exmoor. Was aber geschehen war, ist dieses. Der alte Herzog hatte tatsächlich ein etwas mißgestaltetes Ohr, was tatsächlich mehr oder minder erblich war. Er benahm sich wegen ihm tatsächlich krankhaft; und

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