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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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jüngere, der Hauptmann, gehörte zu jener Sorte, die bis auf den tiefsten Grund absinkt. Dieser schuftige Offizier sank vom Bettler zum Erpresser hinab, und eines häßlichen Tages bekam er seinen Bruder, den Prinzen, in seine Klauen. Offensichtlich wegen keiner leichten Angelegenheit, denn Prinz Paul Saradine lebte ein wildes Leben und hatte in Sachen bloßer Gesellschaftssünden keinerlei Ruf mehr zu verlieren. In klaren Worten, es handelte sich um eine Sache fürs Schaffott, und Stephen hatte seinem Bruder buchstäblich die Schlinge um den Hals geworfen. Er hatte irgendwie die Wahrheit über die sizilianische Angelegenheit herausgefunden und konnte beweisen, daß Paul den alten Antonelli in den Bergen umgebracht hatte. Der Hauptmann schaufelte schweres Schweigegeld während zehn Jahren, bis selbst das glänzende Vermögen des Prinzen ein wenig armselig auszusehen begann.
    Aber Prinz Saradine buckelte noch eine andere Bürde neben dem blutsaugerischen Bruder. Er wußte, daß der Sohn von Antonelli, ein Kind noch zur Zeit des Mordes, in jener wilden sizilianischen Treue auferzogen worden war und nur dafür lebte, seinen Vater zu rächen, nicht mit dem Galgen (denn dazu fehlten ihm Stephens gesetzliche Beweise), aber mit der alten Waffe der Blutrache. Der Jüngling hatte die Waffenkunst bis zur tödlichen Vollkommenheit geübt, und um die Zeit, da er alt genug war, sie auszuüben, begann Prinz Paul nach den Worten der Gesellschaftszeitungen zu reisen. In Wirklichkeit begann er, um sein Leben zu fliehen, indem er von Ort zu Ort hetzte wie der gejagte Verbrecher; aber ständig mit einem erbarmungslosen Mann auf den Fersen. Das war Prinz Pauls Position, und keine schöne. Je mehr Geld er ausgab, um Antonelli zu entkommen, desto weniger hatte er für Stephens Schweigen. Je mehr er ausgab für Stephens Schweigen, desto weniger Aussichten gab es, schließlich Antonelli doch noch zu entkommen. Da erwies er sich als wahrhaft großer Mann – ein Genie wie Napoleon.
    Anstatt seinen beiden Widersachern zu widerstehen, ergab er sich plötzlich beiden. Er wich aus, wie ein japanischer Ringer, und seine Feinde stürzten hingestreckt vor ihn hin. Er gab das Rennen um die Erde auf, und dann gab er dem jungen Antonelli seine Adresse, und dann gab er seinem Bruder alles. Er schickte Stephen genügend Geld für elegante Kleidung und eine luxuriöse Reise und schrieb ihm ungefähr: ›Hier ist alles, was ich noch übrig habe. Du hast mich ausgeräumt. Ich habe noch ein kleines Haus in Norfolk, mit Dienerschaft und Keller, und wenn du noch mehr von mir haben willst, dann mußt du dir das nehmen. Komm her und nimm es in Besitz, wenn du willst, und ich werde dann hier ruhig leben als dein Freund oder Vertreter oder sonst was.‹ Er wußte, daß der Sizilianer die Brüder niemals gesehen hatte, außer vielleicht auf Bildern; er wußte, daß sie sich beide ähnelten mit ihren grauen Spitzbärten. Also rasierte er sich und wartete. Die Falle klappte. Der unselige Hauptmann kam in seinen neuen Kleidern und betrat das Haus triumphierend als Prinz, und lief in den Degen des Sizilianers.
    Aber da gab es einen Haken, und der ehrt die menschliche Natur. Üble Geister wie Saradine stolpern oft, weil sie niemals mit menschlichen Tugenden rechnen. Er nahm als sicher an, daß der Schlag des Italieners, wenn er kam, dunkel und gewalttätig und namenlos sein würde wie der Schlag, den er rächte; daß das Opfer bei Nacht erstochen würde oder erschossen, hinter einer Hecke hervor, und also ohne weitere Worte stürbe. Es war ein schlimmer Augenblick für Prinz Paul, als Antonellis Ritterlichkeit ein förmliches Duell anbot mit allen Möglichkeiten der Erklärung. In diesem Augenblick fand ich ihn, wie er sich in seinem Boot mit wilden Augen davonmachte. Er floh barhäuptig in einem offenen Boot, ehe Antonelli erfahren konnte, wer er war.
    Wie aufgeregt aber auch immer, war er doch nicht ohne Hoffnung. Er kannte den Abenteurer, und er kannte den Fanatiker. Es war sehr gut möglich, daß Stephen der Abenteurer seinen Mund halten würde, und sei es nur aus der Lust am theatralischen Spiel, aus seiner Gier, sein neues bequemes Quartier zu behalten, aus dem Vertrauen des Schurken auf sein Glück und seine Fechtkunst. Es war sicher, daß Antonelli der Fanatiker seinen Mund halten und sich hängen lassen würde, ohne seine Familiengeschichte auszuplaudern. Paul lungerte auf dem Fluß herum, bis er wußte, daß der Kampf zu Ende war. Dann scheuchte er die Stadt

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