Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
die Wahrheit zu verheimlichen. Er würde sie sowieso bald erfahren.
»Ja, das nehmen wir an. Wir vermuten, dass Nigel Collins gestern Ihre Mutter umgebracht hat.«
Scotts Schluchzen nahm wieder zu und er versuchte, dagegen anzukämpfen. »Es ist alles meine Schuld. Oh Gott, es ist alles meine Schuld! Es tut mir so leid!«
Jessica sah Cole an, der leicht nickte, und sie warteten wieder, bis Scott sich beruhigte. Jessica fragte wieder: »Alles in Ordnung, Scott?«
»Ja.«
»Okay, Sie müssen mir erzählen, was zwischen Nigel und Ihnen vorgefallen ist.«
Scotts Geschichte deckte sich mehr oder weniger mit Shaun Hogans Aussage. Er übernahm sogar die Verantwortung für die Tat und sagte, er habe die Geschichte erfunden, dass Nigel seine Freundin komisch angesehen hätte. Er gab zu, dass die meisten Tätlichkeiten auf sein Konto gingen und er die anderen unterDruck gesetzt hatte. Er redete fast pausenlos über zwanzig Minuten lang und Jessica warf nur ab und zu eine Frage ein.
Vielleicht war die Frage für keinen der beiden Fälle ausschlaggebend, trotzdem musste sie es einfach wissen. »Warum, Scott?«
Dass er über die Antwort nicht einmal nachdenken musste, war besonders erschreckend, aber wenigstens klang er reumütig. »Zum Zeitvertreib. Alle dachten, das ist doch nur so ein komischer Kauz. Und ich dachte, es würde Spaß machen.«
Und all das war geschehen, nur weil irgendein Junge sich gelangweilt hatte, dachte Jessica.
»Aber warum er?«
»Keine Ahnung, er war eben gerade da und alle fanden ihn irgendwie komisch. Es gab keinen richtigen Grund.«
»Fällt Ihnen sonst noch etwas dazu ein?«
»Nein … nur … Ich weiß nicht, warum es passiert ist. Ich habe mich verändert seitdem. Ich war damals so voller Aggressionen. Dad hatte uns verlassen und … Ich weiß auch nicht. Es tut mir so leid.« Er schluckte sein Schluchzen hinunter und fuhr fort: »Ich muss immer wieder daran denken, nachts im Bett … Aber damals, es war wie ein Zwang. Ich hatte gehofft, wenn ich wegziehe, um zu studieren, würde die Sache in Vergessenheit geraten.«
Er tat ihr fast ein wenig leid und sie hasste sich dafür. Er hatte etwas Schreckliches, etwas Unverzeihliches getan. Und noch schlimmer: Er hatte seine Freunde dazu genötigt mitzumachen und anschließend alles vertuscht. Aber an seiner Art zu reden merkte sie, dass er sich wegen seiner Tat wirklich seit Jahren quälte. Scott konnte damals nicht älter als dreizehn gewesen sein, und nun, all die Jahre später, waren so viele Leben zerstört worden.
Cole meldete sich zu Wort und erklärte, Scott Keegan würde wegen versuchten Mordes angeklagt werden. Sie hatten noch die medizinischen Gutachten von damals und jetzt das Geständnis. Aber ohne Nigel Collins’ Aussage würde die Anklage wahrscheinlich in schwere Körperverletzung umgewandelt. Das letzte Wort hatte die Staatsanwaltschaft. Später würden sie noch eine Pressemitteilung herausgeben, um den Zusammenhang zwischen denbeiden Fällen zu erklären, und Scott würde am nächsten Morgen dem Richter vorgeführt. Jonathan Prince und James Christensen wurden unmittelbar nach Scotts Verhör verhaftet. Seine Aussage reichte aus, um auch gegen sie Anklage zu erheben, selbst wenn sie nicht geständig waren. Ob Shaun Hogan per Videoschaltung an der Verhandlung teilnehmen würde, wusste Jessica nicht. Da sie sich wahrscheinlich alle für den Mord an einem Elternteil verantwortlich fühlten, ging Jessica davon aus, dass auch Jonathan und James ein Geständnis ablegen würden.
Was für ein Schlamassel.
Cole ging zu Aylesbury, um ihm zu berichten, dass sie ein Geständnis hatten, während Jessica in der Einsatzzentrale nachsah, ob die Kollegen bei der Suche nach Nigel Collins schon weitergekommen waren. Nun wussten sie, wer der Mörder war, aber es nutzte ihnen trotzdem nichts, da er wie vom Erdboden verschluckt war. Immerhin hatten sie zwei frühere Mitarbeiter des Kinderheims ausfindig gemacht, aber die hatten keine Fotos von Nigel und wussten auch nicht, wer welche haben könnte. Auch bei seinen früheren Schulen hatten sie kein Glück. Man fand zwar die Fotos der Jahrbücher von damals, aber auf keinem war Nigel zu sehen. Da er immer von allen gemieden worden war, war Jessica nicht sonderlich überrascht.
Sie musste lachen, als sie hörte, dass ein Kollege sich an den
Herald
gewandt hatte, um im Zeitungsarchiv Informationen über den Autounfall einzusehen, bei dem Nigels Eltern umgekommen waren. Er hatte gehofft, dort ein
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