Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
war, denn häufig arbeitete sie in dieser Schicht. Jessica suchte die Aufnahmen der Überwachungskameras zusammen und tat auch alles andere Notwendige, aber irgendwie war sie nicht richtig bei der Sache. Immer wenn sie mit dem Auto unterwegs war oder wenn sie nachts im Bett lag, in jeder freien Minute kehrte sie in Gedanken zu Nigel Collins zurück. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht voll auf ihre Aufgaben konzentrierte, aber sie hatte so viel Energie in den »Houdini«-Fall gesteckt, dass sie ihn nicht einfach vergessen konnte.
Freitagabend war sie froh, dass sie diese schreckliche Woche endlich hinter sich hatte, und nahm sich vor, es sich zu Hause mit einem alten Freund bequem zu machen, der billigen Rosé-Hausmarke aus dem Supermarkt um die Ecke. Caroline und Randall waren in ihrer neuen Wohnung, um Vorbereitungen für den Umzug zu treffen. Sie saß allein vor dem Fernseher, wo die Wiederholung einer Castingshow lief. Obwohl die Show sie überhaupt nicht interessierte, hatte sie schon eine ganze Weile zugesehen, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. Sie hatte bereits zwei Drittel der Flasche geleert, was ihre Entscheidung sicher beeinflusste. Jedenfalls nahm sie ihr Handy vom Tisch und ging das Adressbuch durch. Als sie Garry Ashfords Nummer fand, drückte sie die Ruftaste.
Nach dem zweiten Klingeln ging er dran. »Hallo?«
»Garry, Jess Daniel hier.«
»DS Daniel?«
»Ja, nennen Sie mich Jess.«
»Okay … alles In Ordnung bei Ihnen?«
»Haben Sie Lust, rüberzukommen?«
»Wie bitte?«
»Da ist ein einmaliges Angebot.«
»Äh … ja, warum nicht?«
Der arme Kerl hörte sich, als hätte er die Hosen voll. Jessica gab ihm die Adresse: »Ach, und Garry«, fügte sie noch hinzu, »
keinen
Tweed bitte! Aber bringen Sie Ihre Aufzeichnungen über den ›Houdini‹-Fall mit. Und Wein.«
Dann legte sie auf.
Eine Dreiviertelstunde später traf Garry Ashford mit einer Einkaufstüte voller Notizbücher und zwei Flaschen Wein ein, weißem und rotem. »Ich wusste nicht, welchen Sie lieber mögen, deshalb habe ich von jedem eine Flasche gekauft«, sagte er.
»Eigentlich trinke ich am liebsten Rosé«, sagte sie mit einem Augenzwinkern und nahm ihm die Flaschen ab.
Sie hatte vorher noch schnell beim Imbiss in der Nähe Curry bestellt. Ihre erste Flasche zeigte mittlerweile ihre Wirkung und sie hatte richtig Lust auf etwas Scharfes, aber die Bestellung war noch nicht da.
Garry war ausnahmsweise einmal wie ein normaler Mensch angezogen, dachte Jessica. Er trug Bluejeans und ein rotes T-Shirt. Sie führte ihn ins Wohnzimmer, brachte eine Flasche in die Küche und öffnete die andere. Sie nahm noch ein Glas mit ins Wohnzimmer, reichte es ihm und schenkte ein.
Er saß auf dem Sofa und hatte ein paar Notizbücher aus der Einkaufstüte geholt. Jessica setzte sich neben ihn. »Mann, Garry, haben Sie sich nur für mich so viel Mühe gemacht? Ihre Haaresehen aus, als hätte man sie heute nur einmal durch eine Hecke gezogen, nicht drei- oder viermal wie sonst.«
Garry lächelte. »Ich fühle mich geehrt, denn damit haben Sie mich jetzt schon dreifach beleidigt.«
»Hä?«
»Sie haben sich über meinen Namen lustig gemacht, über meinen Kleidungsstil und über mein Aussehen.«
Jessica hatte plötzlich doch ein schlechtes Gewissen, schließlich konnte nicht jeder etwas mit ihrem Humor anfangen. »Tut mir leid, ich habe nur Spaß gemacht.«
Garry sah sie an. »Schon gut. Wenigstens sehe ich nicht so schlimm aus wie Sie auf dem Foto, das wir damals auf der Titelseite abgedruckt haben. Dieses irre Grinsen … und ausgerechnet, wo es in dem Artikel um Mord ging.«
Jessica schlug ihm spielerisch mit der Faust auf die Schulter. »He!«
Sie mussten beide lachen und dann stellte Garry die naheliegende Frage: »Warum haben Sie mich eingeladen?«
Jessica leerte ihr Glas und sah ihn an. »Ehrlich gesagt weiß ich es auch nicht so genau. Sie wissen doch, dass man uns den Fall weggenommen hat, oder?«
»Ja.«
»Ich habe noch einmal die Akten und meine Aufzeichnungen durchgesehen. Irgendwie habe ich die ganze Zeit das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Ich dachte nur … na ja, weil Sie nicht bei der Polizei sind. Bevor ich den Fall vollkommen aufgebe, wollte ich Sie einfach fragen, ob Ihnen vielleicht etwas aufgefallen ist, was ich nicht bemerkt habe.«
»Ich glaube kaum. Ich habe ja nur Ihre Ermittlungen verfolgt, habe mit denselben Leuten gesprochen und so.«
»Mag sein.«
Garry nahm gerade ein
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