Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
dann ist die Hölle los.«
»Komisch, dass du das sagst. Mein Dad hat letztens auch über die Müllabfuhr gemeckert.«
Garry fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und knallte sein Pint-Glas auf den Tisch, als wollte er damit seine Aussage bekräftigen. »Siehst du, was ich meine? Es ist doch verrückt. Und mit solchen Leuten muss ich Tag für Tag reden.«
»Okay, dann erzähl mal: Was war deine schlimmste Begegnung?«
Garry nahm noch einen Schluck, um sich zu beruhigen, und sagte: »Weißt du noch, wie kalt es letzten Winter war? All der Schnee und so? Am kältesten Tag seit sechs Jahren haben sie mich raus auf die Straße geschickt, um Passanten zu fragen, was sie von der Stadtverwaltung halten.«
Mark spuckte ein bisschen Bier wieder ins Glas zurück. »Ach du Scheiße! Mann, kein Wunder, dass du genervt bist.«
»Und das Schlimmste kommt noch: Die meisten Leute haben einfach gesagt, ich soll mich vom Acker machen, oder sie habenmich einfach ignoriert. Und dann waren da diese Bälger, so um die dreizehn Jahre alt. Es war elf Uhr morgens, die hätten eigentlich in der Schule sein müssen. Jedenfalls riefen die von der anderen Straßenseite zu mir rüber: ›Pädo‹, ›Kindergrabscher‹.«
»Und was hast du gesagt?«
»Nichts. Eine witzige Retourkutsche fällt einem in so einer Situation einfach nicht ein.«
»Hmm, stimmt. Das werde ich mal ausprobieren, wenn mein Chef mir das nächste Mal das Leben schwermacht.«
»Was? Du willst ihn als Pädo beschimpfen?«
»Na ja, wie du gesagt hast: Darauf kann man nicht viel antworten.«
»Doch, kann man: ›Sie sind gefeuert.‹«
Mark schien überhaupt nichts ernst zu nehmen, aber Garry konnte es ihm nicht wirklich verübeln.
»Warum kündigst du nicht und suchst dir was anderes?«, fragte Mark.
»Ich weiß nicht, Arbeit ist knapp. Außerdem rede ich mir ständig ein, dass es irgendwann besser wird. Und ich will auf keinen Fall riskieren, dass ich irgendwann wieder zu meinen Eltern ziehen muss. Was Schlimmeres gibt’s wohl nicht für einen Fünfundzwanzigjährigen.«
»Wenn deine Mutter auch so ist wie meine, bekommst du wenigstens deine Wäsche gewaschen, vollkommen gratis.«
Garry lachte halbherzig. »Ja, das ist immerhin etwas.«
»Weißt du, was du brauchst? Entweder eine Freundin oder eine ganz große Story – oder beides.« Mark kippte den Rest seines Biers hinunter, stand auf und wackelte mit seinem Glas. »Willst du noch was zu trinken?«
»Ja, in Ordnung. Das Gleiche wie immer.«
Während Mark zum Tresen ging, ließ sich Garry auf seinem Stuhl zurücksinken und dachte an seine Eltern. Er kam aus einer Kleinstadt in der Nähe von Ipswich. Der ideale Ort, um seine Kindheit zu verbringen. All seine Freunde hatten in der Nachbarschaft gewohnt, und sie hatten genug Platz und Freiheit gehabt,um Fußball zu spielen und allen möglichen Unsinn anzustellen. Aber je älter er wurde, desto langweiliger wurde dieses Idyll. Jeder kannte jeden und man konnte absolut nichts vor seinen Eltern verheimlichen.
Die Verhörtechnik seiner Mutter bestand häufig nur aus einer schlichten Frage: »Gibt’s da vielleicht was, was du mir erzählen möchtest, Garry?« Nicht gerade Columbo, aber da er nie wusste, wobei ihn die neugierigen Nachbarn mal wieder beobachtet hatten, gestand er oft auch Taten, von denen sie gar nichts geahnt hatte.
Und dazu kam noch, dass man als Minderjähriger in den Pubs nicht bedient wurde, weil die Wirte schließlich jeden kannten. Man konnte nirgendwo abhängen, es gab keine Fast-Food-Restaurants und noch nicht mal ein vernünftiges Kino oder eine Bowlingbahn. All das und die Tatsache, dass die Mädchen, mit denen man aufgewachsen war, sich nicht im Geringsten für einen interessierten, bedeutete, dass man schließlich mit achtzehn verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte wegzukommen, um das richtige Leben kennenzulernen.
Die Uni hatte ihm diese Möglichkeit geboten. Garry war zwar ziemlich faul, aber trotzdem kein schlechter Schüler gewesen. Er wollte unbedingt Journalismus studieren, und seine Noten waren gut genug für einen Studienplatz in Liverpool. Wie die meisten Jugendlichen hatte er jede Menge amerikanische Filme gesehen, in denen die Studenten ein tolles Leben hatten, und hatte sich seine Studienzeit ähnlich vorgestellt. In gewisser Weise war sie es auch gewesen, nur war er einer der Statisten gewesen, die in den Filmen bei Partys immer im Hintergrund blieben.
Aber im Grunde war es keine schlechte Zeit gewesen. Mit
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