Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
Sohn war nicht ihre größte Sorge, zumal noch nicht entschieden war, ob die Ermittlungen im Fall Nigel Collins wieder aufgenommen würden. Aber seine Eltern waren vielleicht in Gefahr und mussten möglichst schnell in Sicherheit gebracht werden. Jessica sprach mit dem Polizisten, der vor dem Haus postiert war, und bat ihn, an der Haustür zu rütteln, für den Fall, dass sie sich vielleicht öffnen ließ. Außerdem sollte er den Hintereingang überprüfen und durch die Fenster spähen.
Sie fanden die Handynummern von Mary Keegan, ehemals Harris, und Paul Keegan heraus, und während ein Streifenwagen Jessica zum Haus der Keegans brachte, rief sie beide Nummern an. Mary meldete sich nicht, aber zu ihrer Erleichterung ging Paul Keegan dran.
Es war Nachmittag und Paul Keegan sagte, er sei in seinem Büro in der Stadtverwaltung. Jessica erklärte ihm nicht viel, sondern bat ihn nur, nach Hause zu fahren, wo die Polizei auf ihn warten würde. Seine spontane Frage war: »Ist alles in Ordnung mit meiner Familie?«
Jessica wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte. Sie wollte ihn nicht in falscher Sicherheit wiegen, deshalb sagte sie nur: »Das hoffen wir.« Das war natürlich eine fürchterliche Antwort und ihr war klar, dass der arme Kerl jetzt wie verrückt nach Hause rasenwürde, aber was sollte sie sonst sagen? Im besten Fall, wenn alle wohlauf waren, würde sie sich bei ihm entschuldigen.
Und im schlimmsten Fall …
Die Keegans wohnten in Gortan, genau wie die drei Mordopfer. Die vier Häuser waren keine zwei Kilometer voneinander entfernt. Auch die Fahrt von der Wache zum Haus der Keegans dauerte nicht lang. Unterwegs versuchte Jessica immer wieder, Mary Keegan anzurufen, erreichte aber immer nur die Mailbox. Der Streifenbeamte parkte den Wagen vor dem Haus, direkt hinter dem ersten Polizeiwagen. Der erste Beamte wartete schon auf sie.
»Und?«, fragte Jessica.
»Nichts. Alles ist verriegelt und die Gardinen sind zugezogen. Ein paar Nachbarn sind neugierig geworden, aber sonst war nichts.« Jessica wollte gerade an ihm vorbeigehen, da sagte er ganz beiläufig etwas, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte: »Aber im Haus hat ununterbrochen ein Telefon geklingelt. Mindestens zehn Minuten lang.«
»Scheiße.«
Ein dritter Streifenwagen kam und parkte hinter den beiden anderen. Darin saßen Cole und mehrere Uniformierte. Jessica nahm das Haus in Augenschein. Es war dem von Yvonne Christensen sehr ähnlich, eine gewöhnliche Doppelhaushälfte mit soliden doppelverglasten Türen und Fenstern. Der Vorgarten war makellos und verfügte über einen kleinen Teich mit Springbrunnen, von einem gepflegten Rasen eingefasst. Die Keegans legten offensichtlich viel Wert auf ein schönes Zuhause. Auch die Hecken waren ordentlich gestutzt. Einige andere Vorgärten in der Straße wirkten weit weniger gepflegt. Jessica ging zum Haus und öffnete den Briefschlitz an der Tür. Sie konnte nichts sehen, weil innen an dem Schlitz dichte, schwarze Borsten angebracht waren. Sie versuchte, sie auseinanderzuschieben, konnte aber trotzdem nichts erkennen. Dann ging sie zum Erkerfenster rechts von der Haustür und schirmte die Augen mit der Hand ab. Aber eine dichte Tüllgardine behinderte die Sicht.
Jessica wählte noch einmal Mary Keegans Nummer, und sofort hörte sie leise das Klingeln im Haus. Sie ließ ihre Stirn gegen die kühle Fensterscheibe sinken und legte auf.
Sie wusste bereits, was sie im Haus erwartete.
Plötzlich waren quietschende Reifen zu hören und Sekunden später hielt ein großer, silberner Wagen vor den drei Polizeifahrzeugen. Ein Mann stieg rasch auf der Fahrerseite aus und kam durch den Vorgarten auf sie zugerannt. »Mr Keegan?«, fragte sie.
»Ja. Was ist hier los?«
Jessica ignorierte seine Frage. »Haben Sie Ihren Hausschlüssel dabei?«
Paul Keegan trug eine schwarze Anzughose und ein weiß-blau kariertes Hemd. Er war über fünfzig, ein wenig größer als Jessica, unrasiert, und sein ordentlich gekämmtes, dunkles Haar wurde an den Schläfen grau. Er holte einen Schlüsselbund aus der rechten Hosentasche. »Hier. Was ist denn los?«
»Darf ich die kurz ausleihen?«
Er reichte ihr die Schlüssel und fragte wieder: »Was ist denn los?«
Jessica sagte nichts und nickte nur Cole und den an der Straße wartenden Beamten zu. Cole stellte sich zu Paul Keegan und beide sahen zu, wie Jessica ein Paar dünne, blaue Gummihandschuhe aus der Tasche holte und überzog. Dann steckte sie den Schlüssel ins
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