Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Orientierungsmechanismen auf der Hand. Doch wozu sollten sie beim Menschen gut (gewesen) sein? Die offenbar durchschnittlich beträchtlich größeren räumlichen Orientierungsschwierigkeiten der Frauen passen ganz und gar nicht zu ihrem Hang zu den Sternen. Die sich am besten orientierenden Männer sollten der Astrologie am stärksten zugetan sein, so es denn eine Verbindung mit dem Orientierungssystem gäbe. Dem ist aber nicht so.
Damit stellen uns die Tierkreiszeichen vor ein doppeltes Rätsel. Sie dienen ganz offensichtlich nicht der Orientierung, und diejenigen Menschen, die sie konkret am wenigsten kennen, glauben am stärksten daran. Boulevardzeitungen können es sich offenbar nicht leisten, auf das tägliche, wöchentliche, monatliche und jährliche Horoskop zu verzichten. Anspruchsvolle Blätter aber sehr wohl. Spiegelt sich darin also lediglich der Bildungsstand? Dann müssten so manche historisch wichtige Persönlichkeiten geradezu schwachsinnig gewesen sein, ließen sich doch durch die Zeiten Könige und Kaiser, Feldherren und erfolgreiche Kaufleute von ihren Sterndeutern Zukünftiges vorhersagen. Vielleicht wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, hätte die Vernunft und nicht die Astrologie das Vorgehen bestimmt. Manch Modernes, zur Prognoseindustrie Gewordenes, unterscheidet sich in der Vorhersagequalität kaum vom Blick in die Glaskugel der Seherin. Die angewandte Methode ist auch zumeist unschlagbar, weil so etwas wie eine stille Übereinkunft zwischen den Astrologen und ihren computertechnisch ausgestatteten Nachfolgern einerseits und den Empfängern ihrer Prognosen andererseits besteht. Trifft die Vorhersage zu, war sie gut. Falls nicht, wird nicht darüber gesprochen. Dann hatten (unbekannte) gute Sterne/Geister oder die von den möglicherweise Betroffenen getätigten Gegenmaßnahmen die Katastrophe(n) verhindert und das Geschehen doch wieder in gute Bahnen gelenkt. Eine Rechtfertigung der Fehlprognosen unterbleibt seltsamerweise. Selbst die krassesten Falschaussagen werden nicht zur Rechenschaft gezogen und dem Ausmaß ihrer Folgen gemäß bestraft. »Dummheit ist nicht strafbar«, meint der Volksmund und damit oft genug sich selbst, wenn es um Leichtgläubigkeit geht.
Erklärt dies den Ursprung der Himmelstiere? Ich meine nicht! Die Tierkreiszeichen kamen nicht »in den Himmel«, um den Menschen zu zeigen, wie töricht sie sind. Die dumpfen Gefühle der großen Mehrzahl der Menschen, denn um eine solche handelt es sich bei den Astrologie-Gläubigen, können auch nicht einfach mit »Dummheit« abgetan werden. Wer sich nur ein wenig näher mit dem Phänomen des Tierkreises befasst, wird nicht umhin kommen, einen vernünftigen Hintergrund zu vermuten. Machen Sie mit mir einen Versuch, diesen zu ergründen.
Zunächst wiederum ein paar Fakten: Die Tierkreiszeichen stammen aus dem Großraum des Fruchtbaren Halbmondes (1). Sie entstanden dort in der Zeit der ersten Hochkulturen (2). Ihre Abfolge repräsentiert den Jahreslauf der Sonne (3). Als »Bilder« geben sie eine optische Hilfestellung im einzigen nicht vom Wetter beeinflussten System des Jahreskreises (4). Mit dem Geburtsdatum der Menschen wird darauf Bezug genommen (5). Am meisten richten sich die Frauen danach (6). Sie sind als die Gebärenden, viel stärker als die Männer, die Geborenen, in biologische Zyklen eingebunden (7).
Gemeinsam ist diesen sieben Punkten die Zeitbezogenheit. Es geht um konkrete Zeitpositionen in der zyklischen Wiederkehr des Jahreslaufes. Das System verfeinert das allgemein bekannte der vier Jahreszeiten. Diese unterliegen allerdings recht ausgeprägt den Schwankungen der Witterung, so dass einzelne mitunter nur stark verkürzt oder auch ungewöhnlich lang auftreten. Festzustellen, dass es Frühling oder Sommer geworden ist, stellt keine besondere Leistung dar, weil wir auf äußere Zeichen in der Natur, wie den Austrieb der Blätter, das Erblühen von Obstbäumen oder auf das erntereife Getreide hinweisen. Für den Herbst stehen bei uns reifendes Obst und fallende Blätter, für den Winter Frost und Schnee. Doch diese Zeiträume verwischen sich an den Rändern. Nicht selten fallen sie sogar im Kern ihrer Zeit unpassend aus, etwa wenn es ausgerechnet im Hochsommer lang anhaltend regnet und zu kalt ist oder im Winter so warm, dass eine verfrühte Blüte einsetzt. Das Wetter ist kein zuverlässiger Zeitgeber. Wir richten uns daher aus guten Gründen nach der kalendarischen Zeit aus. Ihre gänzlich
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