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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Reisenden meinen Maestro und seine Assistentin. Sie wollten mich nicht gleich erkennen, unter so vielen Menschen, aber dann gab ich ihr das Stichwort Pico Grande. Und schon begrüßten sie mich wie einen alten Bekannten oder einen Freund, es war wie ein Wiedersehen zu Hause nach einer langen Zeit in der Welt. Der Maestro nickte müde, so wie einer, der alles weiß, mit dem man nicht mehr sprechen muss. Er ist heiser und muss sich schonen, sagte die Assistentin. Ein rosaroter Schal grenzte ihn von den anderen ab.
    Es folgte eine dieser Weiterreisen bei Nacht. Schenkel an Schenkel, nur etwas Viskose und Ersatzseide dazwischen. Noch bevor es ganz dunkel war, hatte sie schon begonnen, mir ihr Leben zu erzählen, das sich von nun an für immer mit ihrem Parfüm und ihrem Körpergeruch vermischte.
     
    Kurz vor dem Ziel schreckte sie auf. Wo sind wir? An der Peripherie von Buenos Aires, so gut wie am Ziel.
    Und auch ihr Mann fiel bald danach aus. Sie konnte nun mit keinem mehr von der Liebe sprechen. Mein Herz blieb stehen, sagte sie, etwas übertreibend. Es war ihr so, als ob sie von einem obersten Stockwerk hinuntergefallen wäre. Man muss ja nicht immer gleich tot sein. Tot war kein Wort mehr, es war nicht mehr wert als erinnern, nachtblau, Winterkleid.
    Ihr Gesicht war zerknittert vom Schlaf, den grobgewobenen Poncho, den ich als Geschenk aus Pico Grande mitschleppte, hatte ich gegen die kühle Nacht um meine Schultern gelegt. Er zeichnete sich um ihre Halsgegend ab. Noch gar nicht wach, sprach sie von den Schafen und dem traurigen Reichtum des Südens, dass auf hundert Schafe nicht einmal ein halber Mensch komme und so weiter.
    Kennen Sie Pico Grande? Es war für sie der traurigste Ort auf der Welt. Waren wir uns einig?
     
Nie zu jung
     
    Besuch dieser Stripbar mit Backrooms in Buenos Aires auf der Heimreise, die jener von Friesenheim ähnelte. Besuch eines Bordells, zum ersten Mal, zum Abschied. Premiere und Last Tour fielen zusammen.
    Erst dieses Plüschgewitter, rubinrot, und dann die Person auf der Bühne, ganz ungeschickt. Dazu diese verrohten Menschen ringsum im Zeitalter von Free Climbing. Ihr Versuch von Free Climbing, pickelig, unschön. Aber die Angereisten steigerten sich in diese Oberfläche hinein. Zu allem auch hier die Verheißung eines tiefroten Lippenstifts, rot lackierte Fuß- und Fingernägel. Als sie gar nichts mehr anhatte, nur noch diese Farbe.
    Doch zuvor glänzende Gewänder mit viel Platz für alles. Dolores, heimatlose Erektionen, Tagträume und Schwänze aus der Pampa, Uruguay, Mesopotamien, Fleckviehgau, Schwänze und Schwanzgeschichten.
    Ich sagte, »bin noch zu jung«. Und sie lachte.
    »Nie zu jung!« Und sie, die auch einen Namen hatte, im Leben einen anderen als hier, lachte dreckig und vielversprechend und verheißungsvoll wie in einem Film.
    »Zu jung!« Das wollte sie nicht gelten lassen und nahm mich mit.
    Zum ersten Mal sagte ich »Zieh dich aus!« und werde mich nun ein Leben lang an diesen schönen Satz erinnern.
     
Gerüche und Geräusche von Dingen, die hinter mir lagen
     
    Auf dem Flughafen. Vor mir noch einmal eine Art Panorama. Ein Geruch wie über dem Hafen von Heraklion, dem Hafen, über den ja schon der Verkehr des Labyrinths von Knossos lief. Gerüche und Geräusche von Dingen, die hinter mir liegen.
    Die Enttäuschung Rosas, kurz nachdem sie mich erblickt hatte: und erst, als sie mich durchschaut zu haben glaubte.
    So stöhnten sie, als wäre ihre Lust nur verdoppelt, nicht gelöscht. Aber es war doch immer nur ein Ausflug, von dem sie ernüchtert erwachten, und dann die Erinnerung an einen Riesenkater.
     
    Und noch weiter zurück zu jener Frau, die mir erzählte, was für miserable Liebhaber sie in der Pampa vorgefunden hatte. Sie begnügte sich ja mit: fast nichts, meine Engländerin auf Reisen, die etwas Spanisch sprach und keine großen Ansprüche stellte. Das letzte Hemd der Liebe war schon abgelegt, eine Zustandsbeschreibung nur noch, ein impressionistisches Unglück, jenseits meiner eigenen Sinnlosigkeit, aber so, dass ich den Unsinn als solchen noch begreifen konnte.
     
    Oder das Leben von Tante Lotte in ihrer Hütte, ins Feuer starrend, Wiener Blut nie gehört, kein Radio, nie in der Stadt, nur in der Hütte, kein glanzvoll vertuschtes Elend, Mendoza, Feuer, Feuerland, ein weißer Fleck, keine Geschichte, nur Rotwein, nur ihre indianische Mutter und was vorher war, kamen Gauchos, Russen, Deutsche, Juden, alles Strandgut?
    Die Stelle, wo das Herz war,

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