Einmal auf der Welt. Und dann so
Jesuit werden wolle und dass ich schon in Feldkirch gewesen sei. (Ich war gerade elf Jahre alt geworden.) Ich konnte ihm nur sagen, dass der Herr Pfarrer Strittmatter mit mir nach Blönried gefahren sei, um mich den Steyler Missionaren vorzustellen.
Daraufhin durfte ich wieder auf mein Zimmer. Es war bestimmt nicht mein Zimmer. Angefangen mit dem Ofen, der fehlte, für den in den ersten Schuljahren in der Zwergschule von Himmelreich, gegen meinen Willen, anstelle von Schule Holz gesammelt wurde. Auch das Bild von Heuss fehlte. Es gab Lübke. Auch das Harmonium fehlte. Und das Lied Freude, schöner Götterfunken, das wir in der Quarta sangen, war so geheimnisvoll wie die Trinität, kein Wunder. Ich blieb schon an den Wörtern dieses Liedes eines Undichters und noch mehr an seiner Grammatik hängen. Wie heißt das auf Französisch: Joie, belle étoile des Dieux. Wer war die Tochter aus Elysium? Ich habe es nie erfahren. Dieses Lied singt man mit der Nase nach vorn, im Prinzip wie einen Schulmarsch, und so sangen es die Schüler, denen es gefiel.
Auch hätte ich gerne einmal gewusst, auch im Nachhinein gewusst, was sich die anderen, meine anderen, dabei gedacht haben, als sie auf Jahre hinaus von Frau Potempa durch die Turnhalle getrieben wurden, zum Warmlaufen, wie es hieß, im Kreis.
Allein diese Nichtigkeit hätte aus einem, der das Zeug dazu hatte, schon einen Dichter machen können.
Zu den Sonderbarkeiten von Meßkirch gehörte, dass wir Jungen bis zur Geschlechtsreife, ja, so hieß es, ob das der empfindsame Mensch glauben will oder nicht, von einer Turnlehrerin unterwiesen wurden. Was nun Leibeserziehung hieß, nannte sich kurz zuvor noch Wehrsport. Doch ich war unsozial. Ich machte nicht mit. In Meßkirch gab es nur schiefe Bemerkungen, die es in sich hatten. Frau Potempa war nämlich keine Nazisse, sondern nur die Tochter eines Nazi, und das ist, nach allem, was ich weiß und wissen kann, das Allerschlimmste.
Aber warum wollte ich den Rest der Welt auf Jahre hinaus noch verbessern? Hielt mich nicht die Verachtung der Umstände am Leben? Meine Mitschüler, die keine Religion im Ranzen hatten, wie ich dachte, freuten sich wenigstens auf die Turnstunde, oder sie machten sich nichts daraus. Das Springen, das Hin-und-her-Rennen, das Herumgetrieben-Werden um die Trillerpfeife herum fanden die wohl nicht unnormal. Die dachten wohl, das gehört dazu, wie ihre Eltern von HJ und BDM dachten, das gehört dazu, wie sie vom Wehrdienst dachten, das gehört dazu, wie sie vom Arbeitsdienst dachten, das gehört dazu, wie sie vom Zug nach Osten dachten, das gehört dazu. Das meiste geschah ohnehin freiwillig, wie alles, was man nicht für möglich hält, was ich nicht für möglich gehalten hätte, freiwillig geschieht und geschah.
Wenn ich neben ihnen in der großen Pause auf dem Schulhof stand, bei der alten Kastanie und dem Brunnen, der später wie die Kastanie durch etwas Schönes, Neues ersetzt wurde, gingen Tina und Marina Arm in Arm auf und ab und grüßten, wenn sie an mir vorbeikamen, »Guten Morgen, Herr Pfarrer«, und verneigten sich dazu, erinnere ich mich bis heute.
Dabei hatte Tina bei der Aufnahmeprüfung selbst gesagt, sie wolle später in die Mission. Ich hatte freilich gesagt, ich wolle Pfarrer werden. Doch ich wusste nicht, was berufen heißt, und fürchtete, nicht auserwählt zu sein. Diese Angst verlor sich mit den Jahren, indem sie sich erübrigte.
So konnte ich auch nicht zwischen Schamhaftigkeit und Keuschheit unterscheiden und kann es heute noch nicht. Da der Pfarrer meine Frage nach dem Unterschied nicht beantworten konnte, beim besten Willen nicht, scheint mir heute, beriet ich mich mit Tina und Lizzy, und sie meinten, es sei ungefähr dasselbe. Die eine war sexuell begabter, die andere konnte besser rechnen. Beide haben jetzt ihren Mann.
Vor dem Fenster, das heißt: draußen die Birnbäume. Sie überragen die Apfelbäume und werden auch älter als sie. Ich sitze beim Mittagessen und esse meine Bratwurst, die Kartoffeln sind aufgewärmt. Wenn es nicht regnet oder schneit, fahre ich mit dem Fahrrad nach Meßkirch und komme mit dem Fahrrad zurück. Ab sechzehn mit der Honda. Ab achtzehn mit dem VW. Ich bin von allen Seiten gut versorgt.
Das Himmelreich, halb im Tal, halb auf einer Anhöhe, schön gelegen, wie mir scheint, lag zwanzig Minuten mit dem Fahrrad vom Schlossberg entfernt. Zwanzig Minuten Richtung Süden, dann bin ich, dann war ich in meinem Kuhdorf, denn mein Kuhdorf ist kein
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