Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
Vom Netzwerk:
Kuhdorf mehr, leider. Ich lasse, ich ließ auf dem Weg ins Himmelreich Wichtlingen links liegen. Ich kam heim, aß meine Bratwurst. Dann zog ich das »Wertighäs« an, im Sommer die kurzen Lederhosen, sonst Manchester (»Manseschder«, wie man hier sagte) und irgendein kariertes Hemd und ging aufs Feld. Die Felder, auf denen ich arbeitete, die Obstbäume, die ich von der Stube aus sah: Ich kann nicht sagen, ob ich zu jedem Baum ein besonderes Verhältnis gehabt hätte. Kam erst mit den Jahren. Ich kann aber immer noch nicht sagen, dass mir die Kastanie lieber wäre als der Birnbaum, so wie ich absolut nicht sagen kann, ob ich lieber stehe oder liege.
    Damals war mir der Geflammte Kardinal am liebsten. Eine Apfelsorte, die nur noch in wenigen Obstgärten am Bodensee zu finden ist. Ansonsten ist der Geflammte Kardinal auch hier vom Goldenen Delizius, der Einheitsfrucht, ersetzt. Es standen drei Geflammte Kardinal in diesem Baumgarten, aus dem man, in die Sprache der Planer übersetzt, gut und gern zehn Einfamilienwohneinheiten hätte herausschlagen können. Man müsste nur die Planierraupe kommen lassen, um Ordnung zu schaffen. Die Bäume stehen noch. Ich will sie in Schutz nehmen, solange ich kann.
     
    Hier. Hier. Hier
     
    Das war die Kehrseite von Meßkirch. Hier wollte ich mit dem Spielen nicht aufhören. Vielleicht war es frühreif, dass ich das Ende des Spielens, das mit Meßkirch zusammenfiel, und den Beginn von dort als die letzte Katastrophe meines Lebens vernahm und vernahm und vernehme.
     
    Hier
     
    Ich sah alles von hier, wenn ich mich umsah.
    Den Heuberg, die Alpen, wenn's schön war, den Hegau. Aber hier hatte keinen Namen.
    Die Geographen sagen: oberes Ablachtal. Sie sind nicht hier gewesen. Sie verteilen ihre Namen von der Karte aus. Die Bewohner von hier wissen nicht, wo das obere Ablachtal ist.
    In der Schule hieß es früher, links von der Ablach ist der Heuberg. Rechts von der Ablach ist der Linzgau. So hieß es früher. Doch ich hatte keinen Heimatunterricht, weil ich nach dem Krieg geboren wurde.
    Ich erfuhr in der Schule nie, wo ich zu Hause bin, wo hier ist, weil es nach einem Krieg, der schlecht ausging, keinen Heimatunterricht gab.
    So musste ich mir von den Alten sagen lassen, wo ich zu Hause bin, welchen Namen hier außerdem was noch hat. Oder vom Atlas. Doch der Atlas ist für hier zu klein. Er verzeichnet die kleinen Landstriche nicht einzeln. Der Atlas verzeichnet die Donau, lieblos, und in welche Richtung sie davonfließt, an uns vorbei, ohne Namen zu nennen.
    Also sagte ich bald zu Meßkirch: Das ist die Hauptstadt des Fleckviehgaus. Und zum Himmelreich sagte ich: Du liegst in Mesopotamien, genau an der Stelle, wo die Donau und der zum Bodensee ausgeuferte Rhein am engsten zusammenkamen und zusammenkommen, allein, um aneinander vorbeizufließen.
     
Der Atlas
     
    Ist auch ein Gebirge. Er ist mein liebster Aufenthalt. Was wäre er ohne den Atlas. Mutter sagt, »Ich kenne ihn nur mit dem Atlas.«
    Zwischen den einzelnen Gebirgszügen Platz für die Erinnerung in unbeschreiblicher Gegend.
    Der Blick von oben. Kein Horizont mehr. Ich sehe alles.
    Vorerst komme ich bis auf den Heuberg. Ich war auch schon auf der Mainau. Aber ich glaube nicht, dass die Zeit vergeht. Ich könnte der Zeit Ohrfeigen geben, dass ihr Hören und Sehen verginge.
    Ich muss hierbleiben. Die Briefe der Auswanderer. Das Un-Glück der Daheimgebliebenen.
    Ich darf in Ferien nach Meßkirch, und mir wird schlecht vor »Langweil«. Heimweh heißt im Himmelreich »Langweil«. Jetzt kenne ich »Langweil«. Ich kannte sie vom Hörensagen. Großvater hatte »Langweil« in Southampton, »Durschd und Langweil«. Ich beiße ins Kopfkissen vor »Langweil«. Von der Post ins Himmelreich telefoniert. Sie sollen mich abholen. Ich weiß jetzt, was »Langweil« ist. Man holt mich ab. Im Auto streite ich mich mit meiner Schwester. Ich habe sie zwei Tage nicht gesehen. Zu Hause höre ich, Großvater habe es zweieinhalb Jahre in Saukempten aushalten müssen, und mein Vater sei siebeneinhalb Jahre in Russland gewesen. Und dich muss man schon am zweiten Tag in Meßkirch abholen. Aber ich weiß jetzt auch, was »Langweil« ist. Heimweh ist ein Wort, das ich noch nicht kenne.
     
Es gab 

    Ich sitze mit dem Trieler am Tisch, weil ich noch triele. Den Löffel kann ich schon selbst halten. Vor mir das Habermus. Alle haben einen Löffel. Alle essen damit vom Habermus. Es schmeckt. Ein Rest von früher. Ein Rest von gestern. Auch gestern gab

Weitere Kostenlose Bücher