Einmal auf der Welt. Und dann so
Marktbrückle.
Zwei Jahre später trug Lizzy immer noch Stirnband und eine transparente Bluse, wie es Mode war.
Ich habe gesehen, wie sie bei den Lesewettbewerben vorlasen, bei den Bundesjugendspielen vorsprangen, wie sie beim schulinternen Schönheitswettbewerb zur Miss Progymnasium gekrönt wurden und schließlich von David Garrick einen Kuss bekamen, als dieser das Bravo-Girl 1971 am Marktbrückle abholte, was auch im Bravo abgebildet war. Dies zu einer Zeit, als die Lizzies schon APO-Groupies und noch Bravo-Leserinnen waren.
Bei den Bundesjugendspielen, die von manchem als Schicksalszeichen großer oder geringer Zukunft gewertet wurden, standen Lizzy und Jane (alle hatten englische Namen) mit Stirnband und Messlatte und schossen sich gegenseitig im Wettkampf-Völkerball ab.
Die schöne Lizzy stand bei den internen Meisterschaften, deren Sieger im Südkurier abgebildet waren, auf der Ehrentribüne und trug ihre Sonnenbrille auf halber Höhe und schob sie über das Stirnband, als lebte sie schon in Italien.
Das konnte ich dem Südkurier entnehmen.
Sie wusste, dass ich mich für Freundschaftsspiele und interne Meisterschaften nicht interessierte. Ich interessierte mich mehr für Philosophie, wie sie meinte.
Einmal stellte sie mich in ihrem Freiburger Studio als Dichter vor. Ein anderes Mal als Verwandten von Martin Heidegger. Dies war das Höchste, was man in Meßkirch außerhalb des Skiclubs werden konnte.
Sie war mir immer voraus.
Ihr Lieblingswort 1969 war abschüssig. Sie hatte es vom Treffen der Oberschwäbischen Schülerzeitungen mitgebracht. Auch in der Geschlechtsreife war sie mir voraus. Dann in der Politik.
Dann in der klassischen Musik. Dann bei den Weibern. Dann bei den Männern. Dann im Wohn-Design. Jetzt bei der Kindererziehung.
Der Abiturfeier, wo sie den Dank an die Lehrer vortrug, blieb ich fern.
Einmal, im Sommer des Abiturs, verbrachten wir einen heiteren Nachmittag am See. In Bodman. Ich kann mich kaum mehr an jenen Nachmittag erinnern, nur so viel weiß ich noch, dass Lizzy mich mehrere Male vom Boot aus ins Wasser stieß.
Neulich traf ich sie auf der Straße. Sie fragte mich, ob ich schon wüsste, was ich machen wollte. Sie sagte, sie ginge ins Goethe-Institut nach Salamanca. Ich sagte ihr, ich wolle Papst werden, und wir lachten.
Andere, die mit mir den Schlossberg hinaufgingen, habe ich, zusammen mit ihrem Namen, glattweg vergessen.
Sie blieben auf der Strecke.
So hänge ich mit verlorenem Blick am Schlossberg.
Ich weiß, dass ich Lizzys Witzfigur war.
Wir müssen uns unbedingt bald sehen, sagt sie jedes Mal, wenn ich sie treffe. Meist am Marktbrückle.
Ich glaube, sie ist mit einen Akademischen Rat zusammen. An der Klingel steht Professor. Auch hat er einen Sprachfehler.
Ich war, wie Lizzy mir sagte, immer der Komischste von allen. Heute behauptet sie sogar, ich hätte früher gestottert. Jetzt soll ich mit ihr Kaffee trinken, wenn ich sie am Marktbrückle treffe. Ich spinne wohl, aber ich bin mit Lizzy schon unterwegs ins Café Becher. Ich mache ihr von der Seite her Komplimente, versteht sich. Ich habe ihr auf dem Weg ins Café schon gesagt, dass sie jünger geworden sei, seit wir dies alles hinter uns hatten. Jetzt sage ich ihr vom runden Marmortischchen aus »Du bist noch schöner geworden, die Brille steht dir gut«.
Lizzy sagte mir auch, ich solle die Vergangenheit von der heiteren Seite sehen. Im Café Becher lud sie mich zu einem Schock ein und sagte mir, ich sei viel jünger geworden.
Frau Café Becher stellte sich gleich hinter unser Tischchen, um uns zu sagen, dass sie Weihnachten nach Madeira fliege. »Schön, Tante Glärle«, sagte Lizzy auf Halbschwäbisch und stellte mich »senz'altro« als zukünftigen Heidegger vor. »Da muss ich euch was zeigen«, fiel sie Lizzy ins Wort, ging und kam mit einem Gästebuch und einem Stapel von Fotografien und setzte sich an unseren Tisch. »Jaa, ich kannde den Professer sehr gut. Der kam jedes Mal zu mir, wenn er in Meßkirch war. Daa saßer«, und sie zeigte in den hinteren Teil des Cafés, wo Heidegger immer saß. »Mit dem Fritz war ich per du.« Fritz war der Bruder des Philosophen, er sagte: »Mein Bruder ist der Philosoph. Ich bin der Vielsauf!« Frau Becher zeigte auf das Foto, das sie zwischen die beiden Brüder gezwängt zeigte. Unten stand »Für das Bäsle. M. H.« ohne Datum. War in der schlechten Zeit, die drei saßen vor einem Mostkrug. Auf dem Speckbrettle abgewetzte Speckschwarten. »Ich war ja no
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