Einmal durch die Hölle und zurück
Schreibwaren zu würdigen.
»Schlucken Sie’s runter«, sagt der CPO und gießt nach Plastik schmeckendes Wasser aus der Feldflasche in Reggies noch immer geöffneten Mund. Reggie verschluckt sich, bekommt das Stück Papier aber zusammen mit dem Wasser hinunter. Zumindest spürt er es nirgends mehr. Der CPO legt die Feldflasche wieder neben ihn und zieht das Netz über seinen Kopf.
»Was ist das?«, fragt Reggie.
» LSD «, sagt der CPO . »Das hat mir meine Frau unter einer Briefmarke geschickt. Ich hatte Angst, es auszuprobieren, aber vielleicht hilft es gegen Ihre Schmerzen.«
Dann zieht der CPO das Netz noch mal runter und greift in Reggies Hemd, um die Schnur rauszuholen. »Tut mir leid«, sagt er. »Hab vergessen, mir die Schlüssel zu nehmen.«
Als Reggie aufwacht, schlägt er das Netz zurück, denn seine Augen und seine Kehle brennen von dem DDT , mit dem es imprägniert wurde. Er versucht den Kopf zu heben, aber sein Hals ist dick, wie aus Lehm, und ein Schmerz schießt durch seine Brust. Doch sein Kopf ist jetzt klarer.
Viel klarer. Vor dem Himmel kann er den Bambus sehen, und obwohl es schon Abend ist, sieht Reggie jeden einzelnen Stab – auch die, die sich hinter der vordersten Reihe befinden. Er
weiß
, dass sie da sind, denn das ist eine logische Schlussfolgerung. Und was ist der Unterschied zwischen dieser Schlussfolgerung und sie mit eigenen Augen zu sehen?
Es ist wie beim Wasser. Im Augenblick kann Reggie kein Wasser sehen. Aber er weiß ganz genau, dass welches da ist. Und wie viel sieht man vom Wasser überhaupt? Nur die Oberfläche – den unbedeutendsten Teil, den es bereitwillig mit anderen teilt.
Das Wasser lässt das Kanu augenblicklich an seiner Oberfläche liegen. Es zieht das Kanu nicht in die Tiefe, spuckt es aber auch nicht aus. Es ist einfach etwas Eigenes. Das sich seine Fläche mit anderen teilt, aber rein bleibt. Es ist dasselbe, was Reggie gerade mit den Stechmücken tut: Er überlässt ihnen friedfertig ihr Millionstel von sich selbst. Aber was ist das für ein Gesang?
Reggie konzentriert sich. Er bildet sich den Gesang nicht ein. Er kann ihn hören, meint er, er beruht nicht auf einer Schlussfolgerung. Es sind Männer. Nicht viele, aber ganz in der Nähe. Und sie singen.
Plötzlich dringt ein gotterbärmliches Quieken an sein Ohr, als würde einem Geschöpf das Leben entrissen. Er hört ein Platschen, und dann verstummt das Quieken und wird von einem unheimlichen Schnüffeln abgelöst. Dann folgt ein noch lauteres Platschen, und auch das Schnüffeln hört auf.
Und die ganze Zeit ertönt der Gesang.
Reggie kommt sich plötzlich vor wie ein Missionar, der darauf wartet, dass ihn die Eingeborenen in ihrer Suppe kochen oder ihn an einen Pfahl binden und mit Speeren nach ihm werfen.
Auf einmal ist das Quieken wieder zu hören. Jetzt muss sich Reggie die Sache ansehen.
Mit den Füßen schiebt er sich im Kanu weiter nach oben. Als er sich aufrichten will, wird er von den Schmerzen in der Brust beinahe ohnmächtig, doch irgendwie weiß er, dass das, was sich hier abspielt, möglicherweise der Tod ist. Was macht es da schon, wenn ihn der Schmerz durchströmt wie die Flüsse des Deltas, auf dem er treibt? Das ist kein psychedelisches Gedicht, du Schwachkopf. Das ist der Tod.
Durch seine Anstrengungen beginnt sich das Boot zu drehen. Er kann den Rand des Steintempels sehen. Dann den Eingang. Mehrere Männer hocken im Lotussitz auf der Plattform vor dem Gebäude, in T-Shirts und Lendenschurzen. Sie singen. Der Mann am Ende der Reihe hat einen Sack. Er zieht ein Ferkel daraus hervor. Es quiekt.
Die Männer reichen das strampelnde Ferkel die Reihe entlang. Reggies Kanu dreht sich, als wollte es ihm folgen. Als das Ferkel bei dem Mann am Ende der Reihe ankommt, nimmt er es, berührt es mit der Stirn und wirft es dann mit beiden Händen aufs Wasser hinaus.
Das Ferkel schreit, während es durch die Luft fliegt. Es landet mit den Hufen voran im Wasser, taucht sofort wieder auf und paddelt jämmerlich schnaufend, um zu einem der Seerosenblätter zu gelangen – als könnte so ein Blatt das Gewicht des Tieres tragen.
Plötzlich steigt etwas Riesiges hinter dem Ferkel im Wasser auf und verschlingt es.
Das Ungetüm ist mindestens so lang wie die Reihe der Männer. Es muss riesig sein, denn im selben Augenblick, als das Maul mit den entsetzlichen Zähnen aus dem Wasser auftaucht und das Ferkel verschlingt, bildet sich eine starke Welle, die halb so lang wie die Plattform ist
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