Einmal gebissen, total hingerissen
eine rhetorische Frage gehandelt hat.
Sie packt ein Büschel Haare und ihre Miene ist genauso aufgewühlt wie letztes Jahr, als ich ihr erzählt habe, dass ich mir die Zunge habe piercen lassen. »Aber du hattest wunderschönes blondes Haar. Warum hast du das gemacht?«
»Mom, ich bin es leid, genauso auszusehen wie Sunny«, sage ich. »Ständig werde ich mit ihr verwechselt und es wird langsam lästig.«
»Wie kann man euch zwei verwechseln? Ihr kleidet euch vollkommen unterschiedlich«, erwidert sie und deutet auf mein gegenwärtiges Ensemble: Schwarz in Schwarz in Schwarz.
»Keine Ahnung.« Ich zucke die Achseln. »Ich gebe zu, mein überlegener Modegeschmack sollte den Leuten
eigentlich einen Hinweis geben, aber das funktioniert nicht allzu oft. Ich bin ein Individuum, Mom. Ich bin ich selbst.
Ich muss mich ausdrücken.«
»Nein, du musst mir gehorchen. Das ist es, was du tun musst«, gibt Mom zurück. Ihre haselnussbraunen Augen sprühen Funken. Wow. Ich habe sie nicht mehr so sauer erlebt, seit Sunny ein Vampir geworden ist und regelmäßig später als erlaubt nach Hause gekommen ist. (Und das ist IMO wirklich VIEL schlimmer als ein wenig Clairol Nr.
70.) »Und du weißt ganz genau, dass ich nicht will, dass du dir die Haare färbst.«
»Aber Mom . . .«
»Weißt du, was für Chemikalien diesen Färbemitteln
beigegeben werden?«, fragt sie, die Hände in die Hüften gestemmt. »Zeug, das bei Laborratten Krebs verursachen kann. Und wenn es bei Laborratten Krebs verursachen kann, was glaubst du dann, was es bei dir anrichten kann?«
Ich stöhne. Ich hätte ahnen müssen, dass es ihr nicht wirklich um das Aussehen geht. Schließlich kleidet sie sich selbst ziemlich unkonventionell. Nein, meine Mom macht sich keine Sorgen darüber, was der Lehrer-Eltern-Beirat sagen wird. Sie ist viel zu beschäftigt mit ihren gegen die Regierung gerichteten Verschwörungstheorien, nach denen Männer in Schwarz böse Haarfärbemittel entwickeln, um die menschliche Rasse zu betäuben, während die Illuminati die Welt übernehmen.
Manchmal wünschte ich, ich hätte einfach eine ganz
normale Mom. Eine, die nicht glaubt, Friseure seien in Wirklichkeit mindestens der Antichrist.
»Tut mir leid, Mom. Ich schätze, ich habe nicht
nachgedacht.«
»Komm das nächste Mal zu mir, wenn du dein Aussehen ändern willst. Ich habe eine großartige, vollkommen natürliche Hennafarbe, die wir hätten benutzen können. Das Zeug ist aus Pflanzenprodukten hergestellt und vollkommen sicher.«
»Klar, Mom. Mach ich.« Ja, bestimmt. Ich werde mir die Haare bestimmt nicht mit Henna färben. Eine
Hennatätowierung würde ich vielleicht erwägen, aber genau da ziehe ich auch schon die Grenze. Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Henna mag sicher sein und wirksam, aber es ist etwas für Hippies.
Sie beugt sich vor und umarmt mich. »Es tut mir leid, Rayne«, sagt sie. »Ich will dich nicht anschreien. Ich mache mir einfach Sorgen um meine Mädchen. Ich möchte, dass es ihnen gut geht.«
»Ich weiß, Mom. Und ich bin froh darüber«, antworte ich und drücke sie meinerseits.
Und es ist mir ernst damit. Obwohl sie mich manchmal in den Wahnsinn treibt, bin ich, soweit es Mütter betrifft, mit meiner gut bedient, denn sie ist absolut cool. Sie ist so was wie eine »Freundin-Mom«. Sunny und ich können mit ihr so ziemlich über alles reden (abgesehen von
Haarfärbemitteln und Vampiren natürlich) und sie ist vollkommen unvoreingenommen. Sie schleicht sich nicht in unsere Zimmer und liest unsere Tagebücher oder geht auf MySpace, um sich davon zu überzeugen, dass unsere Profile angemessen sind. (Ich bin übrigens Raynieday, falls sich irgendjemand mit mir anfreunden will.) Die Mutter meiner Freundin Ashleigh hat ihr vier Wochen Stuben-arrest gegeben, als sie dahinterkam, dass Ashleigh auf MySpace sexy Fotos von sich selbst veröffentlicht hatte.
Nicht dass ich selbst sexy Fotos veröffentlicht hätte, nur zu eurer Information. (Tut mir leid, DarkGothBoy.) Also, ja, sie ist okay. Wenn sie auch manchmal dazu neigt, einen etwas übertriebenen Beschützerinstinkt zu entwickeln.
Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, bemerke ich etwas Überraschendes. »He, Mom, was ist los mit deinem Outfit?«
Wow. Die Frau, die in Jeans mit Schlag, langen, geblümten Röcken und Folkloreblusen LEBT, steht gegenwärtig in einem sexy kleinen Schwarzen mit hochhackigen Schuhen und Perlenkette vor mir. Ich kann nicht fassen, dass mir das jetzt erst auffällt.
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