Einmal gebissen, total hingerissen
beugt sich vor, um mich an der Schulter zu berühren. Ich weiche aus.
Ich weiß, ich bin unfair, aber ich kann nicht dagegen an. Ich weiß, wenn sie mich berührt, werde ich anfangen zu weinen. Und das ist das Letzte, was ich will. »Ich bin deine Mutter, Rayne. Und mir ist es wichtig, wie du dich fühlst.«
Ja klar. Ich glaube, dass es ihr wichtig ist, aber sie ist nicht bereit, die Wahrheit zu hören. Dass ihre kostbare Tochter eine Spinnerin ist. Ein Freak. Eine sozial Ausgestoßene, die kaum Freunde hat und einen Vater, der sich nicht mal die Mühe macht, bei ihrer Geburtstagsparty aufzukreuzen.
Wenn diese Vampirgeschichte doch nur funktioniert hätte.
Ich könnte meilenweit entfernt sein von dieser elenden
Existenz. Ich könnte mit magischen Kräften und
unvorstellbaren Reichtümern in dem luxuriösen,
unterirdischen Zirkel leben. Meine Tage hätte ich damit verbracht, die Klassiker zu lesen. Philosophie zu studieren, um meine Welt zu bereichern. Keine Schularbeiten. Keine Eltern. Nichts als Wonne.
Stattdessen sitze ich hier fest. In meiner weltlichen,
schrecklichen Existenz, in der mich niemand versteht. Mom wird es nie kapieren. Sie ist zu unschuldig, um meine Verderbtheit zu verstehen. Sie ist zu lieb, um das Chaos zu sehen, das unter meiner Haut wirbelt.Und eigentlich ist mir das recht. Es ist besser, dass sie ihr Leben in ihrem Gänseblümchenoptimismus verbringt, statt zu erfahren, was für ein Monster sie geschaffen hat, als sie mich bekam.
Ich denke, komme auf Dad raus.
»Rayne, ich habe dich lieb«, versucht Mom es mit einer
weiteren Taktik. Ich weiß, sie wird bald aufgeben, und
merkwürdigerweise enttäuscht mich das.
»Ich weiß, dass du das tust, Mom«, sage ich resigniert.
Mom erhebt sich und ihre haselnussbraunen Augen sehen
ein wenig wässrig aus. Ich fühle mich schrecklich, weil ich das antue. Weil ich sie zwinge, sich mit mir zu beschäftigen. Ein Teil von mir will aufspringen und sich in ihre Arme werfen. Ihr erlauben, mich festzuhalten und zu trösten, während ich weine und ihr erzähle, wie sehr Dad mich verletzt hat, als er nicht zu meinem Geburtstag gekommen ist. Ihre Kraft nehmen, da ich selbst so wenig davon übrig habe.
Aber ich kann die Willenskraft nicht aufbringen, mich vom Bett zu erheben. Mein Gesicht zu verlieren und Schwäche einzugestehen. Also sitze ich mit finsterer Miene da. Und bin mehr auf mich wütend als auf sie.
»Wenn du jemals reden willst, ich bin hier«, sagt sie. »Ich meine es ernst.«
»Danke«, murmle ich, starre auf meine Schuhe und bin
kaum in der Lage, das Wort über die Lippen zu bringen.
Mom bleibt an der Tür stehen. »Ich wollte heute Abend
eigentlich ausgehen, aber . . . hm, wenn es dir lieber ist.
dass ich zu Hause bleibe, werde ich es tun.«
Ich blicke auf. »Du willst ausgehen?«
Moms Gesicht wird rot. »Mit David.«
Klasse. Sie trifft sich immer noch mit David. Konnte mein Tag noch schlimmer werden? »Ich finde nicht, dass du heute Abend ausgehen solltest . . . oder überhaupt jemals«, murmele ich. »Nicht mit ihm.«
»Rayne, warum nicht? Er ist wirklich nett. Was hast du
gegen ihn?« Mom stößt einen frustrierten Seufzer aus. Ich kann spüren, dass sie sich große Mühe gibt, trotzdem nett zu sein, aber gleichzeitig würde sie mir gern den Hals umdrehen.
»Hast du das Gefühl, dass er deinen Vater ersetzen wird?«
OMG! Muss sich denn ALLES in meinem beschissenen
Leben um Dad drehen?
»Hältst du mich für blöd?«, schreie ich und springe auf, absolut fuchsteufelswild, dass sie so etwas auch nur sagen kann. Gott, ich wünschte, dieser Punchingball wäre jetzt in meiner Nähe. »Denkst du wirklich, ich hätte noch irgendeine Art geistesgestörter Hoffnung, dass der Mann plötzlich auf unserer Türschwelle auftaucht und wieder zu unserer Familie gehören will? Das ist verrückt, Mom!
Wirklich verrückt!«
Mom tritt mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt
zurück. Ich glaube, sie hat Angst vor mir. Klasse. Ich habe es geschafft, dass meine eigene Mutter Angst vor mir hat.
Ich bin ein Loser. So ein Loser.
»Was ist es dann, Rayne? Was stimmt nicht mit David?«
»Es stimmt alles mit ihm. Bis auf die Tatsache, dass er ein böser Vampir ist und ich nicht will, dass er dich tötet.«
Da. Ich habe es gesagt. Soll sie sich doch ausnahmsweise mal der Realität stellen. Ich habe es satt, sie vor der Wahrheit abzuschirmen und wie eine Idiotin dazustehen.
Andererseits ist es rückblickend betrachtet wohl nicht die
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