Einmal Himmelblau und zurueck
uns scheidet. Verdammt!
Jetzt kann ich meine Emotionen nicht mehr verstecken und auch John sieht aus, als wüsste er genau, was in mir vorgeht.
Was bleibt mir also anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen? Doch ich finde für all das, was ich empfinde, keine Worte und deswegen nicke ich nur stumm, ohne seinem Blick auszuweichen.
»Gut«, sagt er. Mehr nicht. Einfach nur: Gut.
Dieser Mann wird mich irgendwann noch einmal zur Verzweiflung bringen, dessen bin ich mir sicher. Wenn nicht heute Nacht, dann in der nächsten oder übernächsten.
»Wo wohnst du eigentlich?«, lenke ich ab, als ich wieder sprechen kann. Ich weiß immer noch nicht, woher er mit seiner Reisetasche kommt oder wohin er will. Kanada? Amerika? Deutschland?
Er schluckt und seine Augen werden plötzlich ganz dunkel. Und ich merke: Jo, du bist mal wieder in ein riesiges Fettnäpfchen getreten. Und richtig. Als er mir nach einer Weile meine Frage beantwortet, wünsche ich mir, sie niemals gestellt zu haben ...
Auf und davon
»Ich habe meine Wohnung gerade leergeräumt. Das, was ich in meiner Tasche habe, ist mein ganzes Hab und Gut im Moment.«
»Warum?« Mir schwant Böses und die nackte Angst packt mich. Zitternd setze ich mich auf, ohne aber meine Beine von seinen zu nehmen oder seine Hand loszulassen. Er hält meine Finger fest umschlungen.
»Deswegen.« Mit der anderen Hand holt er einen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke. Ich erkenne einen handgeschriebenen Brief darin. »Lies«, sagt John und hält mir den Umschlag entgegen. Ich schüttele den Kopf. Nein, ich kann doch nicht seine Post lesen. »Lies«, sagt er nochmal und drückt mir den Umschlag in die Hand, als ich ihn nicht selbst ergreife. »Bitte. Ich ... ich kann es nicht so wiedergeben. Alles, was du wissen musst, steht in diesem Brief. Lies ihn und dann sprechen wir darüber.« Er steht auf. »Ich bin gleich zurück.«
Verwirrt halte ich den Umschlag fest in meiner Hand und sehe ihm hinterher. Er bestellt bei Tom noch ein Bier und dann verschwindet er aus meinem Blickfeld.
Ich drehe den Brief unschlüssig hin und her. Die Worte sind mit Füller geschrieben, in einer geschwungenen Handschrift. Die einer Frau? Lynn , schießt es mir durch den Kopf. Oh nein! Ich habe Angst. Was mag sie ihm geschrieben haben?
»Du wirst es nicht herausfinden, wenn du es nicht liest«, murmele ich vor mich hin und langsam ziehe ich den Brief aus dem Umschlag heraus. Dann falte ich ihn auseinander und fange an zu lesen:
Lieber John,
wenn du diese Zeilen liest, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich schon im Hospiz bin.
Wie wir befürchtet haben, ist der Befund wieder schlechter ausgefallen. Mein Körper hat einfach keine Kraft mehr zu kämpfen, und wenn ich ehrlich bin – meine Seele auch nicht. Ich bin froh, dass ich bald gehen darf, denn ich glaube, dass mich auf der anderen Seite etwas Schöneres erwarten wird als das jahrelange Leiden.
Ich möchte mich aber noch von dir verabschieden. Es ist traurig, dass du nicht bei mir sein kannst, wenn ich gehe, doch alles hat seinen Grund.
Auch, dass wir uns damals gefunden haben. Dass wir unser Kind verloren und uns dann getrennt haben. Aber ich glaube fest daran, dass ich unser kleines Mädchen auf der anderen Seite endlich in die Arme schließen kann.
Ich würde mich auch von dir so gerne noch einmal ganz fest in den Arm nehmen lassen, doch ich weiß, dass es nicht möglich ist. Deswegen schreibe ich dir diese Worte:
Auch, wenn unsere Beziehung diesen Verlust nicht überstanden hat, werde ich dich für immer lieben.
Genieße dein Leben. Jeden Tag. Und sei achtsam. Du wirst wieder glücklich werden, so wie ich es bald sein werde.
I love you. Forever.
Lynn
Ich merke nicht, wie mir die Tränen über das Gesicht laufen. Erst, als eine Hand meine Schulter berührt und sanft drückt, schrecke ich auf. John.
Er steht neben mir und auch in seinen Augen schimmert es feucht. Ich schlucke und wische mir mit dem Ärmel über das Gesicht.
Ein weiterer Umschlag kommt zum Vorschein, als John sich wieder setzt. Das Zeichen einer bekannten Fluggesellschaft prangt über die ganze Seite, und ich bekomme kaum Luft, weil ich nicht glauben will, was ich da sehe. Ich sehe das kanadische Ahornblatt. Ich sehe ein Flugticket aus dem Umschlag ragen. Was ich nicht sehe, ist ein Datum. Ich hebe den Blick.
»Wann?«, flüstere ich fast tonlos.
»Heute Abend.« Seine Stimme ist kaum hörbar und mir reißt es den Boden
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