Einmal Himmelblau und zurueck
unter den Füßen weg. Dienstagabend. 18:26 Uhr. One Way Ticket. Nicht einmal mehr zwölf Stunden.
Für immer oder nur für eine Weile? Will ich es wirklich wissen? Kann ich tatsächlich noch mehr Tiefschläge in dieser Nacht verkraften? Doch als wären unsere Gedanken miteinander verbunden, beantwortet er meine stumme Frage.
»Du hast den Brief gelesen. Es ... es ist ihr letzter Wunsch. Ich kann nicht ...« Er schluckt und ich merke, wie schwer es ihm fällt, darüber zu sprechen. Ich selbst bin schockiert. Auch wenn ich Lynn nicht kenne, ihr in keinster Weise nahestehe, so betrifft es mich. Weil ich mich in ihren Ehemann verliebt habe. Ich blinzele die Tränen in meinen Augen schnell fort und warte darauf, dass John weiterspricht.
»Sie hat Blutkrebs. Leukämie. Und sie wird nicht mehr lange leben. Die Ärzte geben ihr noch eine, vielleicht zwei Wochen.« Dann stockt er, sieht mich an und ich sehe erneut die Feuchtigkeit in seinen Augen aufsteigen. Und ganz langsam, wie in Zeitlupe, rinnt ihm eine einzelne Träne über die Wange. Ich hebe meine Hand und fange sie auf, bevor sie herunterfallen kann.
»Scheiße!«, sage ich. Es gibt keine anderen Worte dafür, die ich sagen könnte. Es tut weh. Und als bei John der Damm bricht und er seine Tränen lautlos laufen lässt, kann auch ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich weine mit ihm.
Um Lynn. Um ihr verlorenes Mädchen. Um ihre Liebe zu ihm und seine Liebe zu ihr, die tief in ihren Herzen verankert ist.
Und um meine Liebe zu ihm, die vielleicht niemals eine Chance haben wird.
Es dauert eine ganze Weile, bis wir uns wieder im Griff haben. Glücklicherweise ist unser Platz vom Lokal aus nicht einsehbar, so dass niemand unseren Gefühlsausbruch mitbekommt. Ich hole ein zerknülltes Päckchen Taschentücher aus meiner Jackentasche und reiche John eins. Er lächelt mich an.
»Danke. Danke fürs Zuhören und dafür, dass du da bist.«
»Klar.« Mehr kann ich nicht sagen. Ich bin am Boden zerstört. Ihm geht es schlecht und ich will das nicht. Ich will, dass es ihm gut geht! Was kann ich nur tun?
In meinem Hirn rattert es. Vielleicht kann ich ihm wenigstens helfen, indem ...
»Wo bleibst du, bis du fliegst?«, frage ich ihn, nachdem ich mir ebenfalls die Nase geputzt habe.
»Irgendwo, denke ich«, antwortet er und zuckt mit den Schultern.
»Du hast nichts geplant?«
»Nein. Hätte ich sollen?« Ich schüttele den Kopf.
»Ich habe eine superbequeme Couch und ... ich ... also, wenn du magst ...« Der Satz bleibt unbeendet, doch John ist klar, dass das eine Einladung war. Sein Blick spricht Bände und trotz der traurigen Umstände fängt es in meiner Lendengegend an zu kribbeln.
»Meinst du, das ist so eine gute Idee?«, fragt er mich offen heraus. Ich weiß, was ich antworten sollte – doch ich kann nicht. Viel zu sehr habe ich mich bereits in meinen Gefühlen für diesen Mann verloren und die Hoffnung – und sei sie auch noch so klein – dass es eine Lösung für alles gibt, ist da. Ich atme noch einmal tief durch, werde mir bewusst, auf was ich mich da einlasse.
Mein Herz brichst du mir sowieso. Auf ein paar Stunden kommt es dabei nicht an. Aber ich spreche es nicht aus, sondern nicke nur. Mal wieder.
»Ich werde auch brav sein.«
»Untersteh dich.« John lacht und seine Augen lachen mit. Die Traurigkeit ist genauso schnell verschwunden, wie sie gekommen ist. Und ich bin froh darüber. Ein lachender John ist mir lieber als ein weinender, auch wenn ich gerne nach wie vor, in guten wie auch in schlechten Zeiten, an seiner Seite wäre.
Meine Blase hat, wie auch mein Magen, ein ungünstiges Timing. Ich ziehe meine Beine von seinen hinunter und stehe auf. Meine steifen Glieder verzeihen mir die abrupten Bewegungen nicht und es zieht ordentlich im Knie.
»Bin gleich wieder da«, sage ich. John wirft mir einen Luftkuss zu, den ich schnell auffange und in meine Hosentasche stecke. »Danke.«
Nach dem Pinkeln zünde ich mir erstmal wieder eine Zigarette an. Ich weiß ja, dass ich hier nicht rauchen soll, aber das ist mir heute sowas von egal. Ich bin am Boden. Und darf es gar nicht sein. Das ist doch verrückt.
Verdammt! Da treffe ich den Mann meines Lebens und dann so ’ne vertrackte Scheiße. Wenn ich das jemandem erzähle ... das glaubt mir kein Mensch.
Ich schaue auf die Uhr. Halb vier. Ich bin froh, dass ich jetzt zwei Tage frei habe. So kann ich mich ganz und gar auf meinen Schmerz konzentrieren. Natürlich erst, wenn John weg ist.
Ich überlege
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