Einmal Hochzeit und zurück
Luft.
»Was ist denn los mit dir?«
Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich konnte nichts weiter tun, als mit dem Finger zu zeigen.
»Flora! Hör auf, nach Luft zu schnappen wie ein Fisch, und mach dich fertig.«
Es war meine Mutter - daran war nicht zu rütteln. Aber das Abgefahrene war: Sie sah Jahrzehnte jünger aus. Ihre Haut war faltenlos glatt, ihr Haar braun, und ihr Buckel schien über Nacht verschwunden. Sogar ihre Stimme klang ganz anders. Es war meine Mutter, so wie ich sie aus der Zeit in Erinnerung hatte, als ich noch zu Hause wohnte. Ich schluckte. Immerhin war ich noch im Halbschlaf. Sie musste sich wohl entschlossen haben, ihr Leben umzukrempeln. Vielleicht nachdem sie Tashys Eltern bei der Hochzeit gesehen hatte. Vielleicht hatte sie angefangen Hormonpillen zu schlucken, und die fingen gerade an zu wirken.
»Herrje, Mum, du hast mich ganz schön erschreckt. Du siehst übrigens toll aus.«
Sie setzte sich zu mir aufs Bett. »Sieh mal, Flora, es tut mir wirklich Leid, dass deine Party ein Reinfall war, aber du kannst dich nicht ewig hier verkriechen und Trübsal blasen. Du musst trotz allem aufstehen und den Leuten mutig ins Gesicht sehen.«
Was zum Teufel war bei Tashys Hochzeit passiert?
Dann tat sie etwas Seltsames. Als sie sich umdrehte und hinausging, schnalzte sie missbilligend mit der Zunge und murmelte etwas ganz Komisches.
»Teenager!«
Ich musste sie ganz einfach missverstanden haben. Aber es verstärkte dennoch mein ungutes Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Mein Zimmer, beispielsweise, das Zimmer, das meine Mutter renoviert und ganz in Beige als Gästezimmer hergerichtet hatte, obwohl ich normalerweise ihr einziger Gast bin, war über und über mit Postern von R&B-Stars behängt, und dabei mag ich R&B nicht mal. Über den ganzen Boden verstreut lagen Klamotten, die ich noch nie gesehen hatte. Ob sie einen Untermieter hatte? Ob ich monatelang bewusstlos gewesen war? Was zum Teufel ging hier vor?
Ich stand auf - wobei ich feststellen musste, dass ich ein langes, gerüschtes Nachthemd anhatte, in dem ich normalerweise nicht mal tot gesehen werden wollte - und taumelte den Flur hinunter ins Badezimmer. Ich hielt mich am Waschbecken fest und warf einen Blick in den Spiegel. Mannomann, für eine, die so sturzbetrunken gewesen war, dass sie umgekippt war und man sie ins Haus ihrer Mutter hatte bringen müssen, damit sie ihren Rausch ausschlafen konnte, sah ich verdammt gut aus.
Ich blinzelte mein Spiegelbild noch mal an, und dann, wie so ein Volltrottel in einem Zeichentrickfilm, rieb ich mir die Augen, um ganz sicherzugehen.
Man sieht nicht, wie man sich verändert. Klar, hin und wieder fällt einem eine Falte auf, das ein oder andere Pfund mehr an den Hüften, das sich mit schönster Regelmäßigkeit dort festsetzt. Aber man bleibt immer noch man selbst. Das eigene Gesicht. Das eigene schönste Zoolander- Gesicht im Spiegel. So, wie man manchmal rasch einen Blick auf sich im Schaufenster wirft und dann hofft, dass niemand sonst es bemerkt hat. Als Teenager habe ich Stunden damit zugebracht, in den Spiegel zu starren und mit mir selbst zu hadern und mich zu fragen: Bin ich hübsch? Werden meine Locken sich wohl jemals glätten? Werden die Jungs mich mögen? Wenn ich abwechselnd auf meinen Ohren schlafe, werden sie dann nicht mehr so abstehen? Wer werde ich sein?
Und genau dasselbe Gesicht blickte mir nun aus dem Spiegel entgegen. Dieses Haar hatte noch keine Bekanntschaft mit einem Glätteisen gemacht. Es hatte keine dezenten blonden Strähnchen. Keine Kuren. Keine sorgfältig gezupften Augenbrauen.
Ich war mir noch nicht ganz sicher, was hier vor sich ging, tendierte aber sehr zu einem dieser ungeheuer realistischen Träume. Jeden Augenblick würden die Königin und das Nilpferd durchs Fenster krachen und mit mir davonfliegen. Bis dahin wollte ich das Beste draus machen. Ich starrte weiter unverwandt in den Spiegel. Mein Spiegelbild sah aus wie mein Gesicht vor mindestens zehn Jahren.
Auf meiner Stirn blühte ein Sträußchen Pickel. Heutzutage stöhne ich schon, wenn ich gelegentlich mal einen habe, aber ich hatte ganz vergessen, wie es ist, wenn die in ganzen Blumenbeeten wachsen. Aber abgesehen davon war meine Haut frisch und rosig ... Ich drehte mich um. Ich verschwand. Ich streckte einen meiner langen dünnen weißen Arme aus. O mein Gott. Wieso hatte mir keiner gesagt, dass die nicht ewig so bleiben würden? Wieso ist mir nie in den Sinn gekommen, dass
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