Einmal Hochzeit und zurück
wenn sie wüsste, dass eine wildfremde Person in ihren geheimsten Geheimnissen herumstöberte. Auch wenn ich selbst diese Wildfremde war.
Ich kramte unten in meiner flauschigen rosa Tasche, und tatsächlich, es war ein winziger Schlüssel drin. Mit schweren Gewissensbissen und laut klopfendem Herzen drehte ich ihn im Schloss.
Ein Minifläschchen Pfirsichlikör war darin (das ich natürlich sofort austrank, mit leichtem Würgereiz, weil das Zeug so klebrig süß schmeckte), ein paar Blättchen zum Zigarettendrehen, etliche Fotos von Männern ohne Shirts - sexy -, eine Ausgabe von Fanny Hill (ich lächelte ironisch in mich hinein), und, o mein Gott. Ja. Wonach ich vermutlich unbewusst die ganze Zeit gesucht hatte.
Ich zog es heraus. Es war eigentlich ziemlich hübsch, ein schlichtes Büchlein mit silbernem Rand und Seideneinband, das aussah, als hätte ich einen ordentlichen Batzen meines sauer verdienten Supermarktgeldes in seine Anschaffung investiert.
Mein Tagebuch.
Die 8oer-Jahre-Version dieses kleinen Schätzchens hatte ich verbrannt, als mir klar geworden war, dass ich als alte Omi vermutlich keine große Freude daran haben würde zu lesen, wer mich in welcher Woche am meisten geärgert hatte, und wenn ich mich schon zehn Jahre nach dem jeweiligen Ereignis nicht mehr an die beteiligten Personen erinnern konnte, dann würde ich das ganz sicher auch nicht in meinen wenigen lichten Momenten als verkalkte Greisin tun. Und es schien auch immer sinnloser, das Ding für meine dankbaren Biografen der British Library aufzubewahren.
Mehr noch, ich mochte das einsame, orientierungslose Mädchen nicht sehen, das ich gewesen war. Ich weiß zwar, dass alle Teenager einsam und orientierungslos sind, mehr öder weniger, aber das ist ja gerade der Sinn des Erwachsenseins, dass wir das alles hinter uns lassen können, wie eine Schlange, die ihre alte Haut abstreift. Dass wir hinausgehen in eine Welt, in der es beständige Freundschaften gibt, echten Spaß und die Erlösung von der schrecklichen, immerwährenden Unsicherheit, die uns jede einzelne Sekunde jedes einzelnen Tages auf den Schultern lastet. Ich wollte nichts über ein Mädchen lesen, das gar nicht wusste, dass es glücklich sein konnte. Ich wollte nichts über ein Mädchen lesen, das Luftschlösser baute, das keine Ahnung hatte, was die Welt für es bereithielt, und das die Hochzeit plante, die Tashy gerade in den Wahnsinn trieb.
Und es wurde tatsächlich alles besser, klar wurde es das. In Form eines Diploms und eines schnuckeligen kleinen Autos und einer Wohnung und eines netten Freundes. Sie hat alles bekommen. Ich weiß bloß nicht so genau, ob sie das gemeint hat, oder ob sie gedacht hatte, es würde sich so anfühlen.
Und nun war ich wieder hier. Zusammengerollt lag ich auf meinem lila Eiderdaunen-Plumeau. Wissen Sie, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so sehr verändert hatte. Ich starrte auf meine zarten, lilienweißen Hände. So sollten meine Hände doch nicht aussehen. Erstens sollte da kein abgesplitterter schwarzer Lack auf den Nägeln sein. Aber wenn ich mich dazu zwang, in dem Buch zu lesen, zwang ich mich auch dazu, der Wahrheit ins Auge zu sehen, so verdreht sie auch sein mochte.
Dieses Mädchen war ich, kein Zweifel. An manchen Punkten geradezu unerträglich, unlesbar.
»Fallon ist eine Riesen-HEXE. Sie hält sich für unheimlich toll, aber ich glaube, sie ist bestimmt ein ganz unglücklicher Mensch, der es komisch findet, Zettelchen rumzuschicken, auf denen sie sich über die Gefühle anderer Leute auslässt, was vermutlich bedeutet, dass sie echt krank sein muss.«
Ja. O nein, bitte, was war das denn?
»Ich glaube, ich habe mich in Ethan verliebt. Ich wage kaum, es laut zu sagen, weil ich mir dabei so komisch vorkomme. Aber ich glaube wirklich, dass ich ihn liebe. Ich glaube, das ist echt wahre Liebe. Und gestern hat er mich tatsächlich dreimal angesehen.«
Ach, du kriegst die Tür nicht zu, ganz bestimmt nicht. Diese Scheißkerle. In zwei Jahren würden sie sich an der Uni die Finger nach uns lecken, aber heute waren sie zu beschäftigt damit, sich gegenseitig zu übertrumpfen, um auch nur einen Gedanken an die Gefühle anderer zu verschwenden ... Okay, ich würde nicht zulassen, dass jemand meine Gefühle verletzte, den ich noch nie gesehen hatte. Mal sehen ...
Da war ein unleserliches Gekritzel, dem ich mit einiger Mühe entnehmen konnte, dass Constanzia und ich versuchsweise zwei Flaschen Wein aus dem Vorrat ihres Vaters
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