Einmal Hochzeit und zurück
Ahnung, wie fies manche Leute sein können.«
»Bist du verrückt? Weißt du nicht mehr, wie sie mir fast den Schädel eingetreten haben, weil ich diesen Robert-Smithmäßigen knallroten Lippenstift getragen habe?«
»Selber schuld.«
»Das ist unfair.«
»Na ja, okay, Tom Philmore hat dir fast den Schädel eingetreten, aber am nächsten Tag hast du schon wieder Fußball mit ihm gespielt.«
»Na und?«
»Mädels können so was über Monate hinziehen. Und außerdem ist Psychofolter viel schlimmer als körperliche Gewalt.«
»Wir reden noch mal darüber, wenn du das nächste Mal fast den Schädel eingetreten bekommst.«
Wir erreichten unser Gartentor. Stanzi und Kendall umschlangen sich wie ein kompliziertes Rohrleitungssystem. Beinahe hatte ich den verbotenen Kuss schon aus meinem Gedächtnis gestrichen.
»Stanzi, wir müssen schnell reingehen, ehe mein Dad rauskommt«, drängte ich. Es war kurz vor der magischen Ein-Uhr-Grenze.
»Wenn du ihm was sagst, bring ich dich um«, stieß sie atemlos hervor.
Clelland und ich blieben stehen und warteten.
»Tut mir Leid, dass ich dich über meine Schulter geworfen habe«, sagte er.
»Lieber Himmel, nein. Das hätte böse enden können da oben, danke, dass du mich vor dem blökenden Akne-Mob gerettet hast.«
»Gern geschehen«, erwiderte er.
»Und außerdem hat es dir bestimmt Spaß gemacht«, bemerkte ich neckisch.
»Ich wünschte bloß, da wäre ich früher drauf gekommen«, nuschelte er. Ich sah ihn im fahlen Licht der Straßenlaterne an. Er hatte eine schmale Linie zwischen den Augenbrauen, eine winzig kleine Falte.
Oben im Haus ging das Licht an.
»Jetzt!«, rief ich Stanzi zu und packte ihre Hand. Sie löste sich mit einem ploppenden Geräusch von Kendall.
Clelland lächelte verschmitzt. »Dass ihr ja nicht zu spät nach Hause kommt«, sagte er.
»Hey! Von Tashy kriege ich schon genug von dem Scheiß zu hören, also muss ich mir das nicht auch noch von dir anhören.«
»Okay, okay, und jetzt ab durch die Mitte!«
Ich schaute ihn noch einmal an. Und er lächelte, zog mich an sich und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
»Gute Nacht«, murmelte er leise.
»Weißt du«, erklärte ich, »ich muss sagen, ich fand den Abend wirklich sehr schön.«
»Beeil dich!«, quietschte Stanzi, als das Licht im Flur anging. Kendall hatte sich bereits aus dem Staub gemacht.
Ich ging ins Haus, aber nicht etwa mein Vater nahm mich dort in Empfang, sondern meine Mutter.
»Oh«, murmelte sie. »Ich dachte, es sei ...« Der Rest des Satzes blieb ihr im Halse stecken, und sie wandte sich ab.
»Mum? Mum ?«, sagte ich, ernsthaft in Sorge, weil sie das Gesicht verzog, als müsse sie gleich weinen.
Stanzi verschwand unauffällig im Gästezimmer.
»Er ist ... ich dachte, er würde nicht mehr so lange wegbleiben.«
Ich schaute auf die Uhr. »Was meinst du mit ›nicht mehr‹? Wie oft kommt er denn so spät nach Hause?«
Meine Mutter biss sich auf die Unterlippe. »Ich bin nicht die Böse hier in dieser Familie, Flora. Das musst du mir glauben.«
Ich machte ihr eine Tasse Tee. Ihre Hände zitterten. Dann legte ich die Arme um sie und drückte sie fest.
»Pst«, sagte sie. »Ist schon gut. Geh ins Bett.«
Aber es war nicht gut. Sie scheuchte mich die Treppe hinauf, wo ich mit geschlossenen Augen zu einer kleinen Kugel zusammengerollt auf dem Bett lag und mir immer und immer wieder wünschte, das alles würde nicht passieren. Mir wünschte, es wäre nicht meine Schuld, dass meine Mutter das Ganze noch mal durchmachen musste.
Um halb drei ging die Haustür auf. Ich hörte laute Stimmen und Weinen. Dann wieder laute Stimmen, und dann ein »Pst«. Ich hörte »Nie im Leben!« und »Nicht zum ersten Mal«. Ich hielt mir die Ohren zu. Das Letzte, was ich hörte, ehe ich endlich einschlief, war, wie mein Vater versuchte, meine Mutter zu beruhigen, und sagte: »Alles wird gut.« Ich fragte mich, ob sie ihm das glaubte.
13. Kapitel
Es ist erstaunlich, was man innerhalb einer Familie alles totschweigen kann. Wirklich erstaunlich. Und als das Wochenende rum war, kam der Montag, und es war ein wunderschöner Tag. Herbstlich, klar und kühl. In den letzten Jahren hatte ich angefangen, schöne Tage zu verabscheuen, weil sie es einem noch schwerer machten, die ganze Zeit im Büro zu hocken, wo Dean mir alle fünf Minuten über die Schulter schaute und mir in den Nacken atmete und sich vergewisserte, dass niemand gute Laune hatte, bloß weil draußen die Sonne schien. Es war wirklich
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