Einmal ist keinmal
Mal verfehlte ich das Boxstudio. Ich überprüfte die Adresse noch einmal anhand der Seite, die ich aus meinem Telefonbuch gerissen hatte, wendete den Wagen, fuhr langsam zurück und hielt nach der richtigen Hausnummer Ausschau. Schließlich entdeckte ich das gesuchte Haus, in ordentlich gepinselten, schwarzen Buchstaben stand an einer Tür: Stark Street Gym. Es sprang einem nicht gerade ins Auge, aber wahrscheinlich hatte das Studio sowieso nicht viel Werbung nötig. Zwei Blocks weiter fand ich eine Parklücke.
Ich schloß den Nova ab, schulterte meine Umhängetasche und machte mich auf den Weg. Das Fiasko mit Mrs. Morelli hatte ich längst vergessen. Ich kam mir verdammt schick vor in meinem Kostüm, den hochhackigen Schuhen und mit meiner tollen Kopfgeldjägerausrüstung. Es ist mir zwar peinlich, aber ich muß doch zugeben, daß ich mir allmählich in meiner neuen Rolle gefiel. Es geht eben nichts über ein Paar Handschellen, um einer Frau neue Energie zu verleihen.
Das Studio lag in der Mitte eines Straßenblocks, direkt über einer Autowerkstatt. Das Tor zur Werkstatt stand offen, und ich wurde ordentlich mit Gejohle und Pfiffen bedacht, als ich daran vorbeiging. Als gute New Jerseyerin hätte ich mich zu gern mit ein paar abfälligen Bemerkungen revanchiert, aber da nun einmal Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist, hielt ich lieber die Klappe und machte, daß ich weiterkam.
In einem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite wich eine schattenhafte Gestalt von einem dreckverschmierten Fenster im zweiten Stock zurück. Jemand hatte mich beobachtet. Kein Wunder eigentlich. Schließlich war ich nicht nur einmal, sondern gleich zweimal die Straße entlanggedonnert. Am Morgen hatte ich als erstes den Auspufftopf verloren, so daß der röhrende Motor mein Kommen schon von weitem ankündigte. Kein besonders unauffälliger Auftritt.
Durch die Eingangstür gelangte ich in einen kleinen Vorraum, von dem aus eine Treppe nach oben führte. Die anstaltsgrün gestrichenen Wände des Treppenhauses waren mit Graffitis bedeckt und mit Handabdrücken aus zwei Jahrzehnten verschmiert. Es stank. Im Erdgeschoß roch es nach Urin, gemischt mit kaltem Männerschweiß und Körpergeruch. Im ersten Stock, der an ein Lagerhaus erinnerte, miefte es auch nicht viel besser.
Ein paar Männer stemmten Hanteln. Der Ring war leer. Niemand stand an den Sandsäcken. Wahrscheinlich waren die anderen Sportskameraden alle draußen, beim Seilspringen oder Autoklauen. Aber das war auch schon der letzte frivole Gedanke, der mir in den Sinn kam. Sämtliche Aktivitäten hörten schlagartig auf, als ich die Halle betrat, und wenn mir schon auf der Straße mulmig gewesen war, so war das gar nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das mich jetzt befiel. Ich hatte erwartet, einen Champion in einer profihaften Umgebung vorzufinden. Auf die feindselige, mißtrauische Stimmung, die mich empfing, war ich nicht gefaßt. Für die Boxer war ich offensichtlich eine ahnungslose weiße Pute, die in ein schwarzes Männerterritorium eingedrungen war. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre vor dem vorwurfsvollen Schweigen zurückgewichen und die Treppe hinuntergerannt, wie das Opfer eines Poltergeists.
Ich stellte mich breitbeinig hin – allerdings eher, um nicht vor Angst umzukippen, als um die Jungs zu beeindrucken – und rückte meine Tasche zurecht. »Ich suche Benito Ramirez.«
Ein Muskelberg erhob sich von einer Bank. »Ich bin Ramirez.«
Er war fast einsneunzig groß. Er hatte eine samtige Stimme, und seine Lippen kräuselten sich zu einem verträumten Lächeln. Die Wirkung war unheimlich. Seine Stimme und das Lächeln paßten nicht zu seinem verschlagenen, berechnenden Blick.
Ich ging zu ihm hinüber und streckte ihm die Hand hin. »Stephanie Plum.«
»Benito Ramirez.«
Sein Händedruck war zu weich, und er dauerte zu lange. Er glich einer unangenehm sinnlichen Liebkosung. Ich sah Ramirez in die eng zusammenstehenden Augen mit den schweren Lidern und machte mir rasch ein paar Gedanken über Preisboxer. Bis jetzt hatte ich immer geglaubt, Boxen sei ein Sport, bei dem es darauf ankam, mit Geschicklichkeit und Aggressivität einen Kampf zu gewinnen, ohne den Gegner mutwillig zu verletzen. Aber Ramirez sah ganz so aus, als ob es ihm Freude machen würde, einem anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. Seine Augen waren wie schwarze Löcher, die alles verschluckten und nichts wieder herausgaben. Es war, als ob das Böse in ihnen lauerte.
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