Einmal ist keinmal
wenigen Dinge, auf die hier überhaupt Verlaß ist.«
Gazarra senkte die Stimme. »Wenn ein Cop unter Mordanklage steht, ist das eine verdammt ernste Geschichte. Auf so etwas reagieren alle höchst empfindlich. Und dieser Mord sah besonders häßlich aus, weil sämtliche Beweise so stark gegen Morelli sprechen. Er wurde am Tatort festgenommen, mit der Tatwaffe in der Hand. Er behauptet, Ziggy hätte auf ihn geschossen, aber es wurde keine Waffe gefunden, es waren keine Kugeln in der Wand oder in der Decke eingeschlagen, und Ziggy hatte keine Schmauchspuren an der Hand oder am Hemd. Die Geschworenen der Vorverhandlung hatten keine andere Wahl, als Morelli unter Anklage zu stellen. Aber dann macht er alles noch schlimmer und erscheint einfach nicht zur Verhandlung. Für die Abteilung war das wie ein Schlag ins Gesicht, verflucht peinlich. Du brauchst bei der Polizei nur Morellis Namen zu erwähnen, und schon hat keiner mehr Zeit für dich. Du machst dir keine Freunde, wenn du deine Nase in die Angelegenheit steckst. Wenn du dich hinter Morelli klemmst, bist du ganz auf dich allein gestellt.«
»Wenn ich ihn erwische, kassiere ich zehntausend Dollar.«
»Kauf dir lieber ein Lotterielos. Damit hast du bessere Chancen.«
»Soweit ich weiß, wollte Morelli zu Carmen Sanchez, aber sie war nicht da.«
»Sie war nicht nur nicht am Tatort, sie ist vollkommen von der Bildfläche verschwunden.«
»Bis heute?«
»Bis heute. Und glaub nicht, daß wir sie nicht gesucht haben.«
»Und wo ist der Kerl abgeblieben, den Morelli zusammen mit Ziggy in der Wohnung gesehen haben will? Was ist aus dem geheimnisvollen Zeugen geworden?«
»Verschwunden.«
Ich kräuselte skeptisch die Nase. »Findest du das nicht auch etwas merkwürdig?«
»Merkwürdig ist gar kein Ausdruck.«
»Vielleicht hat Morelli die Seiten gewechselt.«
Ich hatte das Gefühl, daß Gazarra mit den Schultern zuckte. »Auf jeden Fall ist irgend etwas faul an der Sache, das sagt mir mein Polizeiverstand.«
»Meinst du, Morelli geht zur Fremdenlegion?«
»Ich glaube, er bleibt hier und testet seine Überlebenschancen, oder er kommt bei dem Versuch um.«
Ich war erfreut, daß er der gleichen Ansicht war wie ich. »Hast du einen Vorschlag?«
»Keinen, der dir gefallen würde.«
»Komm schon, Eddie. Ich brauche Hilfe.«
Er seufzte. »Bei Verwandten oder Freunden findest du ihn bestimmt nicht. Dafür ist er zu clever. Du könntest höchstens nach dieser Carmen Sanchez suchen oder nach dem Kerl, der mit Ziggy in ihrer Wohnung gewesen sein soll. Wenn ich Morelli wäre, würde ich versuchen, die beiden aufzustöbern, entweder um meine Unschuld zu beweisen, oder um zu verhindern, daß sie gegen mich aussagen. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie du das anstellen willst. Wir können sie jedenfalls nicht finden, und du wirst wahrscheinlich auch nicht mehr Glück haben als wir.«
Ich dankte Gazarra und legte auf. Es schien mir eine gute Idee zu sein, nach den Zeugen zu suchen, und es war mir ziemlich egal, wie schlecht meine Chancen standen, sie zu finden. Mir ging es um etwas anderes. Wenn ich nach Carmen Sanchez forschte, würde ich vielleicht der gleichen Route folgen wie Morelli. Eine Begegnung war nicht ausgeschlossen.
Wo sollte ich anfangen? In dem Haus, in dem Carmen gewohnt hatte. Ich konnte mit ihren Nachbarn sprechen und vielleicht etwas über ihre Freunde und Verwandten in Erfahrung bringen. Was konnte ich sonst noch unternehmen? Mich ein bißchen mit dem Boxer unterhalten, Benito Ramirez. Wenn er so ein guter Freund von Ziggy war, kannte er vielleicht auch Carmen Sanchez. Unter Umständen wußte er sogar, wer der verschwundene Zeuge war.
Ich nahm mir eine Dose Mineralwasser aus dem Kühlschrank, stibitzte eine Schachtel Fig Newtons aus der Speisekammer und beschloß, mir als erstes Ramirez vorzuknöpfen.
3
Die Stark Street fängt unten am Fluß an, gleich hinter dem Parlamentsgebäude, und verläuft in nordöstlicher Richtung. Mit ihren heruntergekommenen Geschäften, Bars, Crack-Schuppen und trostlosen Reihenhäusern ist sie fast eine Meile lang. Die meisten Häuser waren mit der Zeit in Wohnungen oder einzeln zu vermietende Zimmer aufgeteilt worden. Klimaanlagen gibt es kaum, Mieter dafür um so mehr. Wenn es heiß ist, verteilen sich die Bewohner auf den Treppen und an den Straßenecken, um ein bißchen an die frische Luft zu kommen und vielleicht etwas zu erleben. Um halb elf vormittags war es in der Straße verhältnismäßig ruhig.
Beim ersten
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