Einmal ist keinmal
Kinder. Das älteste war neun, das jüngste eins. Vier Jungen, vier kleine Ungeheuer.
»Nein, ich bin nicht schwanger. Es geht um Ramirez.« Ich erzählte ihm alles.
»Du hättest ihn anzeigen sollen«, sagte Gazarra. »Warum hast du nicht die Polizei gerufen, als er in dem Boxstudio über dich hergefallen ist?«
»Würde Ranger vielleicht Anzeige erstatten, wenn ihm jemand etwas antut?«
»Du bist aber nicht Ranger.«
»Das stimmt, aber du verstehst doch sicher, was ich meine?«
»Warum erzählst du mir das?«
»Nur für den Fall, daß ich plötzlich verschwunden bin. Damit du weißt, wo du nach mir suchen mußt.«
»Großer Gott. Wenn du ihn für so gefährlich hältst, solltest du einen Gerichtsbeschluß gegen ihn erwirken.«
»Davon halte ich nicht viel. Außerdem, was soll ich dem Richter denn sagen? Daß Ramirez damit gedroht hat, mir ein Geschenk zu schicken? Schau dich doch mal um. Na, was siehst du?«
Eddie seufzte. »Fotos von Ramirez, Seite an Seite mit dem Papst und Frank Sinatra.«
»Mir passiert schon nichts«, sagte ich. »Ich wollte es mir bloß mal von der Seele reden.«
»Wenn es neue Probleme gibt, rufst du mich gleich an.«
Ich nickte.
»Und wenn du zu Hause bist, sorg dafür, daß dein Revolver immer geladen und in deiner Nähe ist. Könntest du ihn gegen Ramirez benutzen, was meinst du?«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich schon.«
»Unser Dienstplan ist wieder mal geändert worden, und ich arbeite zur Zeit tagsüber. Wir treffen uns jeden Tag um vier bei Sunny. Ich kaufe die Munition und bezahle den Schießstand. Mit einer Waffe kann man sich nur anfreunden, wenn man sie auch benutzt.«
10
Um neun Uhr war ich wieder zu Hause, und weil ich nichts Besseres zu tun hatte, beschloß ich, die Wohnung zu putzen. Es waren keine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, und vor meiner Tür lagen auch keine verdächtigen Päckchen. Ich gab Rex neue Streu, saugte den Teppichboden, schrubbte das Badezimmer und polierte die wenigen Möbelstücke, die mir geblieben waren. Damit verging die Zeit bis zehn. Ich überprüfte noch ein letztes Mal, ob auch alles abgeschlossen war, dann duschte ich und ging ins Bett.
Um sieben Uhr wachte ich auf. Ich fühlte mich quicklebendig, denn ich hatte geschlafen wie ein Murmeltier. Der Anrufbeantworter war immer noch wunderbar nachrichtenfrei. Die Vögel tirilierten, die Sonne schien, und ich konnte mich im Toaster spiegeln. Nachdem ich in Shorts und T-Shirt geschlüpft war, warf ich die Kaffeemaschine an. Dann zog ich den Wohnzimmervorhang auf und freute mich über den herrlichen Tag. Der Himmel war strahlend blau, die Luft roch noch frisch vom Regen, und mich überkam der übermächtige Drang, ein Stück aus
The Sound of Music
zu schmettern. Ich sang: »
The hills are aliiiiive with the sound ofmuuuusic
«, aber dann wußte ich den Text nicht mehr.
Ich wirbelte zurück ins Schlafzimmer und riß schwungvoll den Vorhang auf. Dann stand ich wie versteinert da. Lula war an meine Feuerleiter gefesselt. Sie hing da wie eine große Stoffpuppe, die Arme in einem unnatürlichen Winkel über dem Geländer abgeknickt, den Kopf auf der Brust. Ihre Beine waren gespreizt, so daß es aussah, als säße sie. Sie war nackt und blutverschmiert, das Blut klebte ihr die Haare zusammen und war auf ihren Beinen zu Klumpen geronnen. Hinter ihr hing ein Bettlaken, damit sie vom Parkplatz aus nicht zu sehen war.
Ich schrie ihren Namen und kämpfte mit dem Fensterschloß. Mein Herz hämmerte so heftig, daß mir alles vor den Augen verschwamm. Ich wuchtete das Fenster hoch und wäre fast auf die Feuerleiter hinausgefallen, dann streckte ich die Hände nach ihr aus und zerrte hilflos an ihren Fesseln.
Lula bewegte sich nicht, sie gab auch keinen Laut von sich, und ich war so aufgeregt, daß ich nicht erkennen konnte, ob sie noch atmete. »Es wird alles wieder gut«, schrie ich. Meine Stimme klang heiser, meine Kehle war wie zugeschnürt, meine Lungen brannten. »Ich hole Hilfe.« Und unhörbar hauchte ich: »Du darfst nicht tot sein. Bitte, Lula, du darfst nicht tot sein.«
Als ich wieder ins Zimmer zurückkletterte, um einen Krankenwagen zu rufen, blieb ich mit dem Fuß am Fensterbrett hängen und knallte auf den Boden. Ich empfand keinen Schmerz, nur Panik, als ich auf Händen und Füßen zum Telefon kroch. Ich wußte die Notnummer nicht mehr. Ich war so außer mir, daß ich keinen klaren Gedanken fassen konnte, ich war zu hilflos und verwirrt, um mit dieser plötzlichen,
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