Einmal Paradies und zurück
heraus gestrahlt hat. Ich hätte ihr sagen können, ich weiß, dass er der einzige Mann ist, nach dem sie immer noch in einer Menschenmenge Ausschau hält. Aber ich will das Glück nicht auf die Probe stellen. Heute geht es nur darum, die Idee in ihren Kopf einzupflanzen, weiter nichts.
Jedenfalls für den Augenblick.
Ich warte, bis sie in einem anderen Traum angekommen ist, dann stehle ich mich davon, um mit meiner Engelarbeit fortzufahren, die mir inzwischen einen Riesenspaß macht. Ich habe begriffen, dass Zeit und Raum in der Dimension, in der ich mich jetzt befinde, nicht existieren. Was mich allerdings immer noch erstaunt, ist die Tatsache, dass ich keinen Schlaf zu brauchen scheine. Und nichts zu essen. Ich muss auch nicht aufs Klo. Offenbar sind alle körperlichen Funktionen aufgehoben – was, das muss ich schon sagen, in lebendigem Zustand auch ganz schön praktisch gewesen wäre.
Dann komme ich zu meiner letzten Station für diese Nacht. Ein Besuch, den ich schon lange machen wollte, aber … na ja, es gab einfach immer wichtigere Dinge zu tun. Ich muss ein paarmal Anlauf nehmen, bis ich mich richtig auf sie konzentrieren kann, denn wenn ich an sie denke, steigen mir Tränen in die Augen. Oder ich werde unsicher. Oder fange gleich an zu schluchzen. Aber aller guten Dinge sind drei, und beim dritten Mal schaffe ich es. Da ist sie endlich. Aber ich habe Pech: Sie liegt auf dem Sofa und schläft, neben sich einen halbleeren Becher Kakao, auf dem Schoß das heutige Kreuzworträtsel, in dem nur noch zwei oder drei Kästchen fehlen. Natürlich ein Rätsel von der richtig schweren Sorte, nicht das einfache Zeug, das für Trottel wie mich gedacht ist.
So ist meine Mum eben. Bei Kreuzworträtseln war sie schon immer brillant, und sie behauptet, dass sie ihr besser beim Einschlafen helfen als jede Schlaftablette. Kreuzworträtsel, Sudoku und Krimirätsel im Fernsehen. Miss Marple, Hercule Poirot und Inspektor Morse sind ihre großen Vorbilder. Kate und ich haben uns oft ausgemalt, wie Mum im Ruhestand in einem kleinen Cottage auf dem Land wohnt und Kriminalfälle löst. Da sie schneller ist als die Polizei, gewinnt sie rasch das Vertrauen und den Respekt des Sergeants und wird immer als Erste um Rat gefragt. Sie löst die Fälle intuitiv und im Handumdrehen, ehe irgendjemand Zeit hat, auch nur über Forensik und DNA -Tests zu fachsimpeln.
Als ich sie sehe, fangen die Tränen erst richtig an zu fließen. Ich glaube, ich kann das nicht. Ich liebe sie zu sehr, und ich vermisse sie so. Wie sie daliegt und schläft, sieht sie so friedlich und heiter aus, und wer weiß, was ich anrichte, wenn ich ihr jetzt was vorjammere. Ich möchte sie lieber besuchen, wenn ich mich ein bisschen mehr unter Kontrolle habe, wenn ich ruhig mit ihr sprechen kann, ohne diesen unerträglichen Schmerz in meinem Innern. Ich ersticke fast an meinem Schluchzen, und ich weiß, wenn sie mich in diesem Zustand sähe, würde sie das nur aufregen.
Ich möchte, dass sie einen schönen, tröstlichen Traum von mir hat, einen, nach dem sie weiß, dass mit mir alles in Ordnung ist. Keinen Albtraum.
Also schaue ich stattdessen auf das Kreuzworträtsel, und mein Blick fällt auf Nummer 3 waagrecht.
Verbaler Ausdruck für eine starke Zuneigung, aufgrund einer Verwandtschaft oder einer persönlichen Bindung.
Drei Worte: eins mit drei Buchstaben, eins mit fünf, eins mit vier. Und welch Wunder: Ich kenne die Lösung.
Ich versuche, den Kuli aufzuheben, der Mum aus der Hand gerutscht ist, als sie eingeschlafen ist, aber es gelingt mir nicht. Auch ein zweiter Versuch verläuft erfolglos. Meine Hand gleitet einfach durch.
Mist.
Ausgerechnet jetzt, wo ich mal was weiß! Ich wünsche mir so, dass sie gut schläft, morgen frohgemut aufwacht, das Rätsel sieht und spürt, dass die Lösung ein kleines Zeichen von mir ist.
Denn die Antwort lautet natürlich: »Ich liebe dich.«
Kapitel 10
Kate
Früh am nächsten Morgen treffe ich bei Kate ein, in ihrem makellosen, nach allen Feng-Shui-Regeln der Kunst gestalteten, geschrubbten und entrümpelten Schlafzimmer. Das Zimmer, ja, das ganze Haus erinnert mich immer ein bisschen an das Barbie-Haus, mit dem sie als kleines Mädchen gespielt hat: Alles ist in Creme oder Weiß gehalten, und ich befürchte immer, dass ich etwas allein schon durch meine Anwesenheit schmutzig mache. Obwohl ich bekanntlich tot bin, überlege ich unwillkürlich, ob ich nicht die Schuhe ausziehen sollte, als ich mich neben sie auf die
Weitere Kostenlose Bücher