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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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Betten hoch, und es war Zeit zum Abendessen.
    Mit Ausnahme der Ruhestunden war der Tag schnell vergangen. Die langen Zeitspannen waren durch kleine Beschäftigungen angenehm unterbrochen worden. Zum Abendbrot bekamen wir kaltes Rindfleisch, in der Schale geröstete Kartoffeln, Gemüsesuppe, Bananensalat, Brot und Butter, Kekse, erbauliche Gedanken und heißen Tee.
    Ich hatte gerade einen großen Bissen Fleisch im Mund und las meinen erbaulichen Gedanken – „Oft habe ich meine Worte bereut, niemals mein Schweigen,“ lautete er –, als Sylvia sich übergab. Ich wußte nicht, ob ihr etwas in der Kehle steckengeblieben, ob ihr plötzlich übel war oder ob sie gerade ihren erhebenden Gedanken gelesen hatte, jedenfalls spie sie über ihr ganzes Abendbrottablett und am Bett herunter. Mir wurde ganz schlecht dabei. Ich trank schleunigst etwas Tee und guckte mich um, wie Marie und Kimi das aufnahmen. Sie nahmen es gar nicht auf. Aßen ihr Abendbrot, als sei nichts geschehen. Ich trank noch mehr Tee.
    Sylvia klopfte mit ihrem Löffel auf den Nachttisch, und schließlich kam eine Schwester und säuberte sie. Als sie damit fertig war, wandte sie sich an mich: „Essen Sie doch Ihr Abendbrot, Mrs. Bard. Sie müssen lernen, diese Dinge zu übersehen.“ Sie brachte Sylvia ein neues Tablett und etwas Tee. Sylvia aß ihr Abendbrot. Ich ebenfalls.
    Als die Oberschwester und der Arzt Visite machten, kamen sie nur an die Tür und fragten: „Alle Wohlauf?“ Also verschob ich die Fragen über Tuberkulose bis zum nächsten Tag. Eine halbe Stunde nach dem Essen maßen wir uns. Ich hatte 37, Marie 38,8, Sylvia 38,3 und Kimi 37,2. Fast zur gleichen Zeit ging das Radio los.
    Erst kam Tischmusik, dann ein Hörspiel, dann Musik, dann ein Hörspiel. Das Radio spielte, bis um 9 Uhr das Licht gelöscht wurde. Die Musik war sehr hübsch, aber die Hörspiele und Vorträge machten uns ganz kribbelig, weil der Apparat so leise eingestellt war, daß wir nur gelegentlich ein Wort verstehen konnten. Um 7 Uhr bekamen wir wieder etwas zu essen, heiße Schokolade oder kalte Milch. Um 7 Uhr 30 wurde die Tagschicht abgelöst und zwei Nachtschwestern erschienen. Sofort setzte überall im Krankenhaus leises, deutlich vernehmbares Summen von Gesprächen ein. Ein sanftes Nebengeräusch, wie das Summen eines Kühlschrankes, und doch das einzige, eindringliche Geräusch in der absoluten Stille.
    Auch wir unterhielten uns. Ich fragte Sylvia, wie sie Tuberkulose bekommen hätte. Sie erzählte, daß sie sie von Kind an gehabt, daß sie ihr ganzes Leben in Sanatorien verbracht hätte. Sie wäre in der Schweiz gewesen, in New York, Arizona, Colorado, New Mexico und Kalifornien. Der Chefarzt des Sanatoriums in Arizona, in dem sie zuletzt gewesen sei, hätte sie aufgegeben und zum Sterben nach Hause geschickt. Ohne jede Hoffnung und nur ihrer Mutter wegen habe sie den Chefarzt vom Fichtenhain aufgesucht. Der habe ihr gesagt, daß seine Methode hart sei, daß er sie aber vielleicht retten könne.
    Ich fragte sie, ob der Fichtenhain ähnlich wäre wie eins von den anderen Sanatorien. Sie meinte: „Nein. In allen anderen Sanatorien haben sie Vorschriften, aber nur im Fichtenhain setzen sie sie durch. Der Chefarzt hier weiß Bescheid mit Tuberkulose und mit Leuten, die daran leiden, und er bringt es fertig, sie gegen ihren Willen gesund zu machen.“
    Ich fragte sie, ob das Frieren zur Kur gehöre. Das glaube sie nicht. Sie fröre nicht.
    Dann fragte ich Marie und Kimi, ob sie frören. Marie sagte, nur manchmal, Kimi, sie fröre immer. Sie fügte hinzu: „Ich habe meiner Familie Bescheid gesagt, daß sie mir Socken, viele Wolljacken und Fausthandschuhe mitbringt.“ Ich nahm mir vor, meine Familie zu bitten, daß sie mir diese Sachen auch brächte. Außerdem eine Bettlampe und einen Nachttischbeutel.
    Die Nachttischbeutel, aus hellem Chinz gearbeitet wie Schuhbeutel, hatten große Taschen für Briefpapier, Pantoffel, Handspiegel und kleine für Federhalter und Bleistifte, Kämme und Bürsten und Kosmetikartikel. Sie wurden mit Sicherheitsnadeln an die Handtuchstange seitlich am Nachttisch befestigt, und dadurch, daß sie so leicht erreichbar waren, ersparte man sich viele Handgriffe.
    Um 8 Uhr brachte eine Schwester Medikamente. Um 8 Uhr 30 putzten wir uns die Zähne mit Trinkwasser, spukten dabei in unsere Bettpfannen, und Sylvia und Marie fingen an, sich über wundgelegene Stellen zu unterhalten. Sylvia erzählte vom Wundliegen in Europa, in New York, in

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