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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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ihr. Mit lautlosen Schritten kam sie eilig an mein Bett. Ich sagte: „Mein Herz pocht.“ Sie sah mir auf die Brust, hielt eine Minute mein Handgelenk und meinte dann: „Herzklopfen. Bei Tuberkulose eine häufige Erscheinung. Schlafen sie ein,“ und verschwand. Ich drehte mich auf die rechte Seite. Mein Herz beruhigte sich etwas, und ich schloß die Augen, aber meine Gedanken rutschten sofort nach zu Hause und den Kindern ab.
    Marie hustete und drehte sich um. Ihr blasses Gesicht verfloß mit dem weißen Bettuch, auf dem das schwarze Haar wie ein Tintenfleck wirkte. Ihr Mund war sogar im Schlaf mürrisch verzogen. Kimi schlief anmutig, die eine gerötete Wange auf der schmalen Handfläche. Entweder sie hatte sich sehr gut angepaßt oder sich den Fatalismus der Orientalen zu eigen gemacht. Sylvia drehte mir den Rücken zu. Sie schnarchte leise, als wenn eine Fliege hinter einem Vorhang summt.
    Ich trank noch etwas Wasser und dachte: „Jetzt bin ich noch nicht mal ganze vierundzwanzig Stunden hier, und hab mindestens noch ein Jahr vor mir.“ Wieder trieben meine Gedanken auf gefährliche Weise dem Zuhause zu. Mein Widerstand gegen das Heimweh war wie eine Wanderung an einem Berghang entlang. Jeder Schritt war unsicher, und beim nächsten schon konnte vielleicht der ganze Berg auf mich herabstürzen. „Wenn ich bloß eine Wärmflasche hätte! Wie lange ein Mensch wohl in feuchter Kälte liegen kann, ohne daß er schimmelig wird? Wie lang sind überhaupt zwei Stunden? Gehört es zur Kur, daß man die ganze Zeit friert, oder ist das das einfachste Mittel, die Patienten ruhig unter ihren Decken zu halten? Warum frieren so zerbrechliche kleine Geschöpfe wie Sylvia nicht? Sie behauptet, ihr sei immer warm. Vielleicht ist das das Fieber.“
    Ich langte unter die Decke und versuchte etwas Wärme in meine Füße zu massieren. Das war genau so ergebnislos, als versuchte ich, durch Aneinanderreiben von zwei feuchten Schwämmen Funken zu schlagen. Ich beschloß, noch bevor der Tag um war, mit der Oberschwester zu sprechen. Ich wollte sie fragen, ob es zur Kur gehörte, die Patienten auf dem Gefrierpunkt zu halten; was unter dem Ausdruck „die Kur gebrauchen“ zu verstehen sei; was Tuberkulose wäre; wie der Bazillus aussähe; Was er in der Lunge bewirke; was die Ruhe mit der Kur zu tun hätte; ob die Tuberkulose wirklich heilbar sei; warum manche Leute, so wie der Mann in meinem Büro, zwanzig Jahre Tb haben und ein normales Leben führen könnten, während andere, wie ich, in weniger als einem Jahr lahmgelegt werden; warum ich in den Ruhestunden nicht ausruhen könnte; warum ich so nervös sei; ob ich im Laufe der Zeit unruhiger werden oder mich besser eingewöhnen würde. Ich konnte noch Hunderte von Fragen stellen, aber diese würden für den Anfang genügen und die Antworten würden mir etwas in die Hand geben, an das ich anknüpfen könnte.
    Sie konnten mir die Grundlage zum Verständnis der Krankheit, des Fichtenhains und der Kur vermitteln. Ich war überzeugt, daß ich verständiger mitarbeiten könnte, wenn ich wußte, was ich tat.
    Für den Versuch, die Fragen auswendig zu lernen, die ich stellen wollte, brauchte ich die letzten, sich ewig hinziehenden Minuten der Ruhestunden, und schließlich kam ein freundliches Kling-klang den Flur herunter und zur Tür herein eine Schwester mit einem Essenswagen. „Gott sei Dank,“ dachte ich, „heißer Kakao!“ Doch hatte ich die Wahl zwischen eisgekühlter Milch und Buttermilch. „Nanu, keine Fächer?“ schimpfte ich verbittert in mich hinein, als ich mir kalte Buttermilch aussuchte. Kimi bat um Milch, Sylvia und Marie wollten gar nichts.
    Nach der Beköstigung füllte eine Schwester noch einmal unsere Wassergläser, eine andere nahm Bestellungen auf Toilettenpapier, Papiertaschentücher, Spucknäpfe etc. entgegen und sagte mir, ich sollte so viel bestellen, daß es für eine Woche reichte, denn „Material“ würde nur sonnabends ausgegeben.
    Als sie fort war, kam die nächste, stellte uns Fragen und schrieb die Antworten auf. Sie fragte, wie wir schliefen; wie unser Appetit sei; ob wir regelmäßige Verdauung hätten; ob wir husteten; ob wir zunähmen; wie viel; Farbe des Auswurfs. Bei den häufigen, eingehenden Erörterungen über Auswurf, seine Farbe und Menge habe ich mir oft gewünscht, daß ich ein appetitlicheres Leiden hätte, etwa Diabetes oder Gehirntumor. Nachdem sie gegangen war, brachten die Schwestern Waschwasser, und bald danach stellte Charlie die

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